6. Die Flucht in Ostpreußen


Mit dem Vorrücken der Roten Armee auf ostpreußischem Boden wuchs die Angst der Bevölkerung vor den Gewalttaten seitens der Roten Armee.
Trotz offizieller Fluchtverbote machten sich viele Menschen auf den Weg zu einem vermeintlich sicheren Ort.
Bei der ersten großen sowjetischen Offensive im Baltikum im August 1944 wurde am 4. August die erste Evakuierungsanordnung erlassen.
Die von der Roten Armee bedrohten Memeldeutschen flohen dementsprechend in die westlichen Landesteile Ostpreußens.
Doch bereits wenige Tage später wurde der Erlass wieder rückgängig gemacht und viele Memeldeutsche kehrten in ihre Heimat zurück.
Diese Menschen waren somit die ersten Opfer der verfehlten staatlichen Flüchtlingspolitik, denn sie fielen bei der nächsten Offensive im Oktober 1944 zum großen Teil in sowjetische Hände.
Verspätete oder erst gar nicht durchgeführte Evakuierungen, die das Schicksal Hundertausender besiegelte, sollte fortan die offizielle Politik bestimmen, denn Flucht vor dem Feind wurde als „Defätismus“ abgetan.

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6.1. Flüchtlingsströme


Nach den ersten Angriffen auf Ostpreußen im Sommer bzw. im Herbst 1944 war die Fluchtrichtung der Zivilbevölkerung klar zu leiten, da die Angriffe der Roten Armee von Nordosten über die Memel oder von Osten über Gumbinnen auf ostpreußisches Gebiet kamen.
Die Flüchtlingstrecks zogen somit immer in Richtung Westen, da Ostpreußen zu diesem Zeitpunkt noch nicht von Süden und Westen her bedroht war.
Die Flüchtlinge wurden innerhalb Ostpreußens auf die einzelnen Landkreise verteilt. Hierbei gab es ein Muster, wonach jeder durch sowjetische Truppen bedrohte Landkreis einen oder mehrere „Gegenstücke“ im sicheren Gebiet Ostpreußens hatte. Der für diese Arbeit interessante Kreis Mohrungen nahm Flüchtlinge aus den Kreisen Insterburg und Angerapp auf
Abb. 6 Geplante Evakuierung der Zivilbevölkerung, Ende 1944

Die Linie der sicheren Kreise lag nach der Vorstellung der Strategen zwischen den Kreisen Labiau und Sensburg, die östlich dieser Linie liegenden Kreise sollten im „Bedarfsfalle“ evakuiert werden. Pläne die einen weitergehenden Vorstoß der Roten Armee ins Landesinnere berücksichtigten, gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Die Situation während der großen Winteroffensive im Januar 1945 sollte wesentlich komplizierter und unkoordinierter sein als die Planspiele der Verantwortlichen.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch rund 1.754.000 Menschen im feindfreien Ostpreußen.73 Die wenigsten von ihnen hatten das Glück, rechtzeitig fliehen zu können.
Die Darstellung der Flüchtlingsströme ab dem 13. Januar 1945 ist überaus komplex – auf eine detaillierte gesamtostpreußische Flücht-lingssituation kann hier nicht eingegangen werden; daher wird für den Raum Ostpreußen nur eine grobe Fluchtbewegung dargestellt.75

Die Entwicklung und Richtung der Flüchtlingsströme sind in allen Fällen durch das Vordringen der Roten Armee bedingt. Ab dem 13. Januar mit dem Beginn der sowjetischen Offensive gegen Ostpreußen kann man auch die ersten großen Flüchtlingstrecks der ostpreußischen Zivilbevölkerung verfolgen.

Generell ist hier zu erwähnen, dass die wenigsten Trecks oder Evakuierungen mehr als ein bis zwei Tage vor dem Eintreffen der Roten Armee in den entsprechenden Orten eingeleitet wurden. Diese Form der Evakuierung von „Vorne nach Hinten“ hatte dann entsprechende Nachwirkungen. Die Rote Armee stieß fast immer schneller vor, als die Zivilisten vor ihrem Vordringen fliehen konnten. Die vorrückende Front schob somit eine Flüchtlingswelle vor sich her, die durch ständig hinzukommende Flüchtlinge rasch anwuchs.
Abb. 8 Evakuierungsplan Kreis Mohrungen

6.2. Treckarten


Da die Flucht vor den sowjetischen Truppen nicht organisatorisch vorbereitet war, nutzten die Menschen jegliche erdenkliche Art von Fortbewegungsmittel. Sie schlossen sich zu kleinen oder großen Flüchtlingstrecks zusammen. Hier sollen nur kurz die am häufigsten vorkommenden Treckarten aufgeführt werden.

Hauptsächlich flohen die Menschen in kleineren Zusammenschlüssen ihrer Dorfgemeinschaft oder Gehöfte. Im Falle der Gehöfte stellten die Knechte, je nach Größe des Anwesens, zwischen einer und zehn Kutschen bereit. Die fast ausschließlich bespannten Fahrzeuge wurden mit einigen Besitztümern und Lebensmitteln beladen.77 Auf den Wagen konnten dann alle Familien- und Hofangehörige Platz nehmen.

Diese kleinen Trecks schlossen sich dann mit denen der näherliegenden Dörfer zusammen.

Dort standen den Menschen nicht so viele Kutschen wie auf den Bauernhöfen zur Verfügung. Die Dorfbewohner nutzten hier in Ermanglung von Zugtieren einfache Holzschlitten79 oder Bollerwagen, die mit dem Allernötigsten beladen wurden. Die Flüchtlinge liefen dann den Großteil des Weges zu Fuß neben den Schlitten her, nur Alte oder Kleinkinder konnten auf den Gefährten Platz nehmen.
Den meisten Flüchtlingen dürfte allerdings nicht einmal diese einfache Art des Transports zur Verfügung gestanden haben – sie mussten im schlimmsten Fall mehrere hundert Kilometer zu Fuß zurücklegen.

Die Flüchtlingsströme vereinten sich an den großen Verkehrs-knotenpunkten – wie bei Pr. Holland – zu gigantischen, nicht endenden Menschenströmen. Durch Schäden von Kutschen, durch das Sterben der Zugtiere oder der schieren Überlastung der kleinen Alleen kamen die Menschen kaum mehr voran. Die Rote Armee mit ihren schnellen motorisierten Verbänden holte sie bereits nach einigen Tagen ein.

Die Menschen in den Städten hatten andere Schwierigkeiten als die Landbevölkerung. Ihnen standen keine Zugwagen oder ähnliche Fortbewegungsmittel zur Verfügung. Ihr Hoffnungen lagen auf den Evakuierungszügen der Reichsbahn.
Doch auch hier zeigte sich die Unfähigkeit der politischen Führung, eine sichere und systematische Flucht zu gewährleisten.

Obwohl das Schienennetz noch zum größtem Teil intakt war, konnte es nur unzureichend genutzt werden. Eine zu geringe Anzahl von Zügen wurde für die Menschen bereitgestellt. Auf den Bahnhöfen, wie zum Beispiel in der Kreisstadt Mohrungen, spielten sich bei der Bereitstellung eines Zuges für mehrere tausend Menschen schreckliche Tragödien ab. Der Platz reichte meist nur für einen Bruchteil der wartenden Menschen, die dann ohne Hoffnung auf einen weiteren Zug am Bahnhof zurückbleiben mussten
Abb. 9 Evakuierung von Flüchtlingen mit offenen Viehwaggons

Eine letzte Möglichkeit war die Flucht mit den zurückziehenden Wehrmachtseinheiten. Gelegentlich teilten die Soldaten den schon für sie zu geringen Platz auf ihren LKW mit den Flüchtlingen.
Diese Art der Flucht war aber gefährlich.
Die Menschen waren hier besonders in Gefahr, da es sich schließlich um militärische Transporte handelte, von Einheiten der sowjetischen Armee angegriffen zu werden. Ebenfalls konnten die Einheiten nicht einfach nach Westen fliehen, wie es die zivilen Flüchtlinge versuchten – oftmals mussten die militärischen Konvois wieder Richtung Front ziehen und setzten damit die mit ihnen flüchtenden Zivilisten einer zusätzlichen Gefahr aus.

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6.3. Die Flucht über den Seeweg


Neben der Landflucht war die Flucht über die Ostsee ein wesentlicher Bestandteil des Flüchtlingsdramas von 1945. Nach den russischen Vorstößen im Januar 1945 wurden Ostpreußen und bald auch Pommern vom restlichen Reich abgeschnitten. Die sich nach Westen bewegenden ostpreußischen Flüchtlingstrecks wurden bei ihrem Durchzug durch Hinterpommern von der Roten Armee überrollt oder erneut eingekesselt.
Ähnlich erging es den Ostpreußen, die ihr Glück in der Flucht nach Königsberg bzw. Pillau am Frischen Haff suchten. Sie wurden ebenfalls von der Roten Armee im Raum Königsberg eingeschlossen. Auch hier war die Flucht über Land unmöglich geworden.
Ab Mitte Februar 1945 war der Landweg nach Westen endgültig durch die Sowjets blockiert.

Die Wehrmachtsführung erkannte diese bedrohliche Situation und beauftragte den Konteradmiral Konrad Engelhardt, einen Eva-kuierungsplan über See zu erarbeiten. Großadmiral Karl Dönitz befahl dem Admiral, jedes verfügbare Schiff verfügbar zu machen. Es gelang Engelhardt, 790 Schiffe unterschiedlicher Größe für die Evakuierung der Flüchtlinge und Soldaten einzusetzen.83 Das größte Problem bei der Evakuierung stellte die knappe Treibstofflage dar. Aus diesem Grunde wurden Kohledampfer aus Norwegen abgezogen, um die Evakuierungsschiffe mit dem nötigen Treibstoff zu versorgen.

Am 23. Januar 1945 begannen die Evakuierungen über See in Ostpreußen.

Bei den ersten Schiffen, die Ostpreußen verließen, war auch die „Ostpreußen“, die am 28. Januar den Gauleiter und Reichs-verteidigungskommissar Erich Koch mit einen Teil seines Stabes aus Königsberg evakuierte.

Koch zog es vor, „seinen“ Gau so schnell wie möglich zu verlassen, anstatt die Evakuierung der hunderttausend verbliebenen Einwohner zu koordinieren.
Viele Menschen, die aus dem nordöstlichen Teil Ostpreußens in Richtung Königsberg geflohen waren, suchten – ebenso wie die von der Roten Armee im Westen Ostpreußens auf das Frische Haff abgedrängten Flüchtlinge – ihr Glück in Königsberg.

Einige Zeit noch wurden Reichsbahnzüge zum Transport der Flüchtlinge in Richtung Pillau bereitgestellt. Von dort aus sollten die Menschen eingeschifft werden.
Bereits am 30. Januar 1945 war Königsberg vollkommen von den sowjetischen Truppen eingeschlossen. Die unzähligen Flüchtlings-ströme konnten nicht mehr über den Landweg nach Pillau gelangen, die Menschen wählten nun den gefährlichen Weg über das zugefrorene Frische Haff. Tausende Menschen brachen mit ihren für das dünne Eis zu schweren Wagen ein und ertranken in der eiskalten Ostsee. Ab Ende Februar begann das Eis des Haffs derart schnell zu schmelzen, dass der Flucht über das Eis ein Ende gesetzt wurde.

Bis Ende Februar 1945 konnten nach vorsichtigen Schätzungen 450.000 Menschen über das zugefrorene Haff fliehen.87
Ab Ende Februar hatten die Menschen dann keine Möglichkeit mehr, den rettenden Seehafen Pillau oder die eingeschlossene Stadt Königsberg zu erreichen, da die Rote Armee die Zufahrtswege zum Haff blockierte.

Ziel der Wehrmacht war es nun, Königsberg so lange wie möglich vor der Einnahme durch die überlegenen sowjetischen Belagerer zu verteidigen, um soviele Flüchtlinge, Soldaten und Zwangsarbeiter wie möglich zu evakuieren.

Die Kriegsmarine konnte so bis zum Fall der Stadt am 9. April 1945 noch unzählige Menschen über Pillau auf dem Seeweg retten.
Vielen Ostpreußen gelang ab Mitte Februar bis in den April hinein die Flucht über pommersche Hafenstädte wie Kolberg. Diesen Ostpreußen und vielen Pommern wurde der Weg in Richtung Oder durch das schnelle Vordringen der Roten Armee versperrt. Auf diese Weise vereint sich die Flucht über Land inhaltlich mit der Evakuierung über die Ostsee.

Von Hela aus fuhren noch bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 Schiffe vollbeladen mit 70.000 Flüchtlingen und Soldaten in Richtung Dänemark, um diesen das schwere Schicksal einer sowjetischen Gefangenschaft zu ersparen.

Nach einer solchen Evakuierung waren die Flüchtlinge noch nicht in Sicherheit. Die sowjetische Marine und Luftwaffe versuchten systematisch eine Evakuierung über See zu verhindern. Trotz Begleitschutz in Form von Zerstörern und Schnellbooten wurden einige Schiffe versenkt.
Zu erwähnen sind hier besonders die „Goya“ – versenkt am 16. April 1945, hierbei starben 6.500 Menschen – und die „Wilhelm Gustloff“ – versenkt am 30. Januar 1945, hierbei ließen 5.100 Menschen ihr Leben.

Insgesamt sind nach vorsichtigen Schätzungen ca. 20.000 Flüchtlinge bei der Evakuierung über See ums Leben gekommen. Diese scheinbar hohe Zahl steht 2 Millionen Geretteten gegenüber, damit starben ca. ein Prozent der Flüchtlinge bei dieser Art der Evakuierung.
Die Quote der bei der Flucht über Land ums Leben gekommenen Menschen liegt hingegen bei 15,5 %.91 Damit ist die Seerettung der Flüchtlinge durchaus als erfolgreiche Unternehmung anzusehen, die vielen Menschen das Leben rettete.

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7. Die Flucht aus den einzelnen Kirchspielen und Städten


Im Kreis Mohrungen gab es annähernd 50.000 Einzelschicksale. Den Menschen sind die schlimmsten und grausamsten Dinge widerfahren, die man sich nur denken kann. Viele hatten das Glück, sich retten zu können, allerdings hatten nur wenige von ihnen keine Verluste in ihren Familien zu beklagen. Ob zu Fuß oder mit einem Handwagen, mit dem Schiff über die Ostsee oder mit der Wehrmacht zurück in sicheres Reichsgebiet – die Flucht vor der Roten Armee war vermutlich die gefahrenvollste und entbehrungsreichste Zeit im Leben dieser Menschen.
Im Folgenden sollen einige Einzelschicksale exemplarisch die Zeit der Flucht veranschaulichen.

7.1. 21. Januar 1945 – der Exodus beginnt


In der Woche vor dem 21. Januar hatte es stark geschneit. Die Straßen waren durch die anhaltende Kälte vereist, und Mensch und Tier litten unter den niedrigen Temperaturen – -20° C war die durchschnittliche Tagestemperatur, wer es sich leisten konnte, blieb in den geheizten Häusern.
Doch das nahende Unheil war schon über Kilometer hinweg zu hören. Die sowjetische Artillerie nahm gegnerische Stellungen unter Beschuss. Ostpreußen wurde mittlerweile schon seit 10 Tagen von der Roten Armee angegriffen.

Die Menschen ahnten, was ihnen bevorstand. Insgeheim bereiteten sich schon viele auf die Flucht vor – doch dies war unter Androhung der Todesstrafe verboten.
Also blieb man – in der stillen Hoffnung, die Wehrmacht könnte den Feind zurückdrängen, doch die Wehrmacht war nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Sowjetische Panzerkolonnen – die Vorhut der Offensive – sollten als erste das Kreisgebiet erreichen. Bereits in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar wird aus Maldeuten93 von russischen Panzern berichtet.

Dieser schnelle Vorstoß der Roten Armee wird zwar in den offiziellen Quellen nicht bestätigt, würde aber strategisch Sinn ergeben. Zum einen war über diese Kreisstraße am schnellsten das operative Ziel Elbing zu erreichen, zum anderen konnte von dieser Position aus die Besetzung des Kreises am günstigsten bewerkstelligt werden.

Diese ersten Sichtungen von Rotarmisten weckten die zuständigen Parteiorgane im Kreis Mohrungen auf. Erst jetzt schien man sich dort der Gefahr für den Kreis bewusst geworden zu sein.

Man benötigte einen halben Tag, um die Bevölkerung vor den näher rückenden sowjetischen Truppen zu warnen.
Erst am 21. Januar 1945 um 17:30 Uhr erging im Kreis Mohrungen der Räumungsbefehl durch den Kreisleiter Erich.

In einer Telefonkette wurden alle NSDAP-Behörden des Kreises über die Weisung informiert.
Diese leiteten die Evakuierungsanordnung an ihre untergeordneten Einrichtungen weiter. In den kleinen Orten oder Gütern wurden die Bürgermeister bzw. die Ortsbauernführer informiert. Diese benachrichtigten dann die Menschen persönlich oder ebenfalls telefonisch.
Bis in den Nacht vom 21. auf den 22. Januar wurden die meisten Menschen informiert, die letzten erreichte die Information durch „Mundpropaganda“ der Nachbarn.

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7.2. Die Flucht aus den Städten


Die Flucht aus den Städten gestaltete sich wesentlich schwieriger als aus den Landgemeinden. Die Städte waren in der Regel strategische Ziele der Roten Armee, hier befanden sich oftmals wichtige Verkehrsknotenpunkte und große Ansammlungen von Wehrmachtseinheiten.
Der städtischen Bevölkerung blieb also zwangsläufig weniger Zeit zur Flucht als der Landbevölkerung.
Die Flucht der Stadtbevölkerung soll hier am Beispiel der Stadt Mohrungen dargestellt werden.
Mohrungen wurde bereits nach wenigen Stunden Ziel der sowjetischen Offensive.

Bei Liebemühl (südlich der Kreisgrenze) trennten sich bereits am 22. Januar eine große Anzahl sowjetischer Einheiten von der Hauptangriffsrichtung von Osterode über Pr. Holland nach Elbing in Richtung Mohrungen.
Diese Panzertruppen kamen am späten Nachmittag desselben Tages mit deutschen Panzerabwehrtruppen bei Himmelforth, unmittelbar vor Mohrungen, in Kontakt.

Die Zivilbevölkerung in der näheren Umgebung hatte offiziell erst am Vorabend von dem offiziellen Fluchtbefehl erfahren. Einige wenige Glückliche erfuhren schon wenig früher von der drohenden Gefahr:
„Am Sonnabend abends (20.1.) kam Frau Fischer [...], deren Mann Verbindung zu höheren Offizieren hatte [zu uns] und riet uns zur baldigen Flucht. Offiziell wurde kein Fluchtbefehl für die Bevölkerung erteilt.“

Die Menschen packten ein paar warme Kleidungsstücke, Lebensmittelkonserven, wenige persönliche Erinnerungsstücke und Geld in Koffer und Kisten, gerade soviel wie eine Person tragen konnte.
Auf dem Leib trugen die Menschen Mäntel und warme Kleidungsstücke, manchmal mehrere übereinander, da die Außen-temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt lagen.

Andere besaßen einen kleinen handgezogen Bollerwagen, der mit dem Nötigsten für die Flucht beladen wurde.
Die erste Anlaufstelle für die flüchtenden Menschen waren die Bahnhöfe. Man hoffte, dass die Reichsbahn genügend Waggons für die flüchtenden Menschen bereit stellten würde.
Aus dem ganzen Umland flüchteten die Menschen in Richtung Mohrungen. Hier hofften sie einen Platz in den bereitgestellten Zügen des Mohrunger Bahnhofs zu finden.

Die Straßen der kleinen Stadt waren hoffnungslos überfüllt. Tausende Menschen versuchten aus der Stadt zu fliehen – viele in Richtung Bahnhof, denn die Menschen erfuhren, dass noch Züge zur Evakuierung bereitstünden. Das Schicksal der Familie Lettau aus Mohrungen beschreibt diese dramatische Situation sehr eindringlich:
„[...] Meine Mutter wurde dringend gemahnt, doch endlich zum Bahnhof aufzubrechen. [...] Auf dem Bahnhof sollten Züge zur Evakuierung bereitgestellt worden sein. [...] Der Bahnhof lag auf der entgegengesetzten Seite der Stadt.

Die mit uns ziehenden Nachbarn verloren wir im Gedränge der verstopften Straßen. Die vielen Militärfahrzeuge, Pferdegespanne, der tiefe Schnee und letztlich die Dunkelheit ließen uns nur schwer vorwärts kommen. [...] Große Enttäuschung erfasste uns, als wir den Bahnhof erreichten. Es waren wohl Tausende Menschen aus der Stadt und dem Kreisgebiet, die an bereitstehende Züge geglaubt hatten. Nicht ein einziger Zug stand zur Abfahrt in das Reichsgebiet bereit.
Trotz bitterer Kälte, es mögen minus 25 Grad gewesen sein, verharrten die Menschen geduldig und ohne Hysterie stundenlang am Bahnhof. Vergeblich!“
Anderen Menschen gelang die Flucht mit einem Zug aus dem Mohrunger Bahnhof, wenn auch nicht weniger dramatisch.
Der in vielen Berichten erwähnte Eisenbahnbergezug, der sich anstelle des Evakuierungszuges im Bahnhof befand, war die letzte Rettung für einige wenige Menschen.
Christa Gand gelangte so zum Beispiel mit Glück in einen überfüllten Viehwaggon, wurde aber durch das Gedränge und die allgemeine Verwirrung auf dem Bahnsteig von ihrer Mutter getrennt. So konnte nur die Tochter mit der Bahn das von sowjetischen Truppen bedrohte Mohrungen am 22. Januar verlassen.
Solche Schicksale spielten sich alleine im Kreis Mohrungen hundertfach.
Abb. 10 Verladung von Flüchtlingen, Januar 1945 (Kreisgemeinschaft Mohrungen)

ab. Ganze Familien verloren sich im Gedränge der überfüllten Straßen oder Bahnhöfe.
Mit Glück fand man sich Jahre später wieder – viele andere haben nie wieder ein Lebenszeichen von ihren Verwandten gehört.
Anderen Menschen gelang die Flucht mit Fahrzeugen. So liegt ein Bericht einer Mohrungerin vor, die zusammen mit ihrer Mutter auf der Ladefläche eines LKW die Stadt verlassen konnte. Eine seltene und vergleichsweise zuverlässige Art der Fortbewegung: Das Fahrzeug besaß einen Holzgasgenerator.

Nachdem die kleine Gruppe Mohrungen verlassen konnte, schloss man sich den nicht enden wollenden Flüchtlingstrecks an und versuchte, sich in sicheres Gebiet zu begeben.
In diesem Fall sollte es Elbing sein. Obwohl man ein motorisiertes Fahrzeug besaß, benötigten die Menschen neun Stunden für die 40 km lange Strecke von Mohrungen nach Elbing. Nachdem sie mit einer Fähre über die Weichsel setzen konnten, erreichten sie Danzig. Von dort aus gelangten sie einen Tag später nach Lauenburg/Pommern.

Hier musste die Gruppe ihre Flucht mit der Bahn fortsetzen. Sie gelangten über Stettin nach Berlin.

Die wenigsten Menschen hatten das Glück, eine so schnelle und vergleichsweise „bequeme“ Flucht zu durchleben.
Viele mussten zu Fuß ihre Städte verlassen und erreichten erst nach Wochen sicheres Gebiet.

So auch der Mohrunger Elektriker Erich Nitsch – er musste seine Familie am 21. Januar alleine auf die Flucht schicken. Nitsch wurde zum Volkssturm eingezogen und sollte Mohrungen bis zuletzt mit verteidigen.
Doch zu einer formellen Einberufung kam es anscheinend nicht mehr. Nitsch erfuhr am 22. Januar, dass der Volkssturm aufgelöst wurde und er sich ebenfalls absetzen konnte.
Er floh mit zwei kleinen Taschen und dem Nötigsten auf seinem Fahrrad Richtung Wormditt (nördlich der Kreisgrenze). Dort fand er einen Zug, der in Richtung Elbing fahren sollte, damit hätte er relativ schnell sicheres Reichsgebiet erreichen können – doch der Zug sollte sich nicht in Bewegung setzen.
Am 23. Januar wurde bekannt, dass am Wormditter Bahnhof ein weiterer Zug bereitgestellt werden sollte – das Ziel war Königsberg, doch dieses Ziel behagte Nitsch nicht. Er blieb noch einige Tage in Wormditt, um sich dann, am 28. Januar, mit einer kleinen Gruppe in Richtung Frisches Haff auf den Weg zu machen.
Nach 15 Kilometern über das zugefrorene und verschneite Haff erreichten sie die Frische Nehrung. Von dort aus gelangte der Mohrunger mit einer Kleinbahn nach Danzig. Leider wurde der Bericht nicht fortgesetzt, dennoch konnte man in Erfahrung bringen, dass der Elektriker Nitsch sicher nach Leipzig kam.

Mit dem Kampf um Mohrungen verbindet sich auch das Schicksal tausender Menschen, denen es nicht mehr rechtzeitig gelang die Stadt zu verlassen.
Abb.11 Flucht über das zugefrorene Frische Haff, Jan./Feb. 1945
Am 22. Januar gegen 20:30 Uhr trafen die ersten sowjetischen T-34 Panzer in der Stadt ein. Die ganze Nacht durch kam es zu heftigen Straßenkämpfen. Die sowjetischen Stosstruppen wurden von Artillerie unterstützt, die hauptsächlich zivile Ziele und damit unschuldige Opfer traf.
Im Laufe der Nacht wurde die Stadt von Osten her eingeschlossen.
Die verbliebene Stadtgarnison unternahm in der Nacht einen Ausbruch aus der umlagerten Stadt. Ewa 60-70 Soldaten konnten sich mit einigen Flüchtlingen absetzen. Die verbliebenen Menschen fielen den Sowjets in die Hände.

Der Kampf um Mohrungen endete am 23. Januar 1945 um 7:30 Uhr.

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7.3. Die Flucht vom Land


Die Flucht der Menschen vom Lande unterscheidet sich wesentlich von der Flucht der Stadtbevölkerung. Hier gibt es einige wichtige Merkmale.
Wie schon in Kapitel 7.2. erwähnt, waren die Städte wichtige strategische Ziele der Roten Armee. Auf dem Land gab es wenig, was es für die Rote Armee lohnenswert machte, von ihrer Hauptangriffsrichtung abzugehen.

Die ersten sowjetischen Panzertruppen, die am 21. Januar in das Kreisgebiet eindrangen, stießen an den unbedeutenden Dörfern vorbei und konzentrierten ihr Vorgehen auf die Verkehrsknotenpunkte des Kreises und die damit verbundenen operativen strategischen Zielen.

Dadurch hatte die Landbevölkerung einige Tage länger Zeit, bevor die Rote Armee in ihre Orte eindrang.
Trotz dieses „Zeitvorteils“ gestaltete sich die Flucht der Land-bevölkerung schwerer, als die der Stadtbewohner.
Die wenigsten der kleineren Orte des Kreises besaßen einen direkten Bahnanschluss.

Die Menschen mussten, wollten sie mit einem Evakuierungszug Ostpreußen verlassen, erst einmal ihre Dörfer in Richtung einer größeren Stadt verlassen. Anlaufpunkte waren dann Städte wie Saalfeld, Mohrungen oder der Eisenbahnknotenpunkt Miswalde. Die Gefahr, auf dem Weg zu einem Bahnhof von sowjetischen Truppen „überrollt“ zu werden, war dementsprechend groß.

Die zum Teil sehr abgelegenen Güter und Höfe erfuhren erst bis zu einen halben Tag später von der befohlenen Evakuierung des Kreises als die Stadtbewohner. Obwohl auf dem Land Telefonanschlüsse vorhanden waren, erreichte die von Parteifunktionären organisierte „Nachrichtenkette“ erst relativ spät die letzten Dörfer. Den Menschen blieb entsprechend wenig Zeit, ihre Habe zu packen und sich auf die Flucht vor den Sowjets zu begeben.

Nach vorsichtigen Schätzungen der vorliegenden Berichte kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Landbewohner entweder zu Fuß oder mit einem Wagen über das Kreisstraßennetz geflohen sind. Ein geringerer Teil konnte einen der wenigen Evakuierungszüge erreichen.

Die Menschen wurden auf unterschiedliche Art und Weise informiert: War es bei dem einen der Ortsgruppenleiter109 der NSDAP, so wurden andere durch ihren Gutsherrn informier In manchen Fällen blieb die Evakuierung seitens der zuständigen Behörden sogar ganz aus, hier mussten dann die dort stationierten Wehrmachtseinheiten tätig werden.
Entsprechend unterschiedlich fallen dann auch die Aufbruchszeiten der Flüchtlinge aus. Im Falle des eigenständig handelnden Gutbesitzer war dies deutlich früher als beim Parteifunktionär, der auf Weisung seines entsprechenden Vorgesetzten warten musste.

Zum Glück für viele Menschen hielten sich die verantwortungsvollen Gutsbesitzer nicht an das offizielle Fluchtverbot – die immer näherkommenden Artilleriegeräusche der sowjetischen Truppen waren für sie Zeichen genug, ihre Leute auf die Flucht zu schicken.
Doch nicht alle Menschen wollten sich auf den Weg machen.
Oftmals waren es ältere Menschen, die ihre Heimat nicht verlassen wollten. Sie entschieden sich, dort zu bleiben

Andere wiederum wählten keinen dieser beiden Wege, sie trafen die für sie folgenschwerste Entscheidung: Sie schieden freiwillig aus dem Leben.

Im Kreis Mohrungen wählten insgesamt 116 Menschen den Freitod.
113 Die Menschen, die diesen Weg wählten, kamen aus keiner homogenen Gruppe.

Wir finden unter ihnen alte Menschen, Gutsbesitzer, Parteifunktionäre, Beamte, aber auch ganz durchschnittliche Menschen, die in manchen Fällen mit ihrer ganzen Familie den Freitod wählten.
Könnte man im Falle des Parteifunktionärs noch seine Tat nachvollziehen, schließlich drohten ihm im Falle der Gefangennahme durch die Rote Armee schlimmste Repressalien, so ist doch der Freitod ganzer Familien schwer zu verstehen.

In jedem Fall hat die Propaganda der Nationalsozialisten, aber auch das unmittelbar Erlebte durch die näher rückenden sowjetischen Truppen dazu beigetragen, dass die Menschen in ihrer Angst diesen Weg wählten.

In einem Bericht von Helga Gonner wird das gesamte Ausmaß der Tragödie deutlich:
„Schon bevor die Russen in unser Dorf kamen, verloren einige Dorfbewohner aus Angst vor den zu erwartenden Repressalien die Nerven und wählten den Freitod. Die junge Frau Kirsch (Ruth) kam zu Frau Satzkowski und teilte ihr mit, dass sie ihr Baby getötet hätte. Frau S. entschloss sich daraufhin mit ihren Kindern ebenfalls aus dem Leben zu scheiden.
Sie betäubte ihre beiden Jüngsten, Ulrike und Clara mit Schlaftabletten und nahm ihnen das Leben. Ihr Ältester, Hans-Jürgen, erschoss sich und Erna Friese, das Hausmädchen. Ein Versuch von Frau S., Ilse, der Zweitältesten, die Pulsadern zu öffnen, misslang. Deshalb blieben Mutter und Tochter am Leben.
Bauer Jertlowski ging mit seiner Frau und zwei Töchtern aufs Feld [...] und hat dort ebenfalls allen die Pulsadern geöffnet. Man fand sie später tot im Schnee sitzend bis auf Erna, die Jüngste, die noch lebte. Sie hatte zu dem starken Blutverlust noch starke Erfrierungen. Ein russischer Arzt hat ihr die Arme amputiert und ihr damit das Leben gerettet.

Ähnlich wie der Stadtbevölkerung blieb auch den Landbewohnern nur sehr wenig Zeit zum Packen ihrer Habe.

Der Umfang der eingepackten Gegenstände unterschied sich deutlich von der mitgeführten Habe der Stadtbewohner. Durch die weit verbreitete Landwirtschaft im Kreis Mohrungen standen den Menschen zahlreiche Leiterwagen zur Verfügung. Auf die Wagen passten deutlich mehr Gegenstände als auf die kleinen Bollerwagen oder Handschlitten der Stadtbewohner – ganz zu schweigen vom Handgepäck vieler Flüchtlinge.
Die Leiterwagen wurden mit Pferden bespannt, die zu diesem Zeitpunkt noch sehr häufig Verwendung gefunden haben.

In manchen Fällen belud eine Familie zwei und mehr Wagen, auf denen allerhand Hausrat gepackt wurde. Diese Familientrecks schlossen sich dann anderen Wagen im Dorf an und zogen gemeinsam in eine vermeintlich sichere Richtung.116
Größere Landgüter stellten gar eigene Trecks in der Größenordnung von bis zu 33 Wagen zusammen.
Konnten die Menschen die lebensnotwendigsten Sachen aufladen, so mussten sie doch neben ihrem Heim einen weiteren wichtigen Bestandteil ihres täglichen Lebens zurücklassen: das Vieh.

Die nordostpreußischen Flüchtlinge konnten im Herbst 1944 noch große Viehherden mit sich führen; nun bestand keine Möglichkeit, die Tiere mitzuführen, bedingt durch den plötzlichen Aufbruch, das kalte Klima und die schiere Überfüllung der Straßen.

Den Gutsbesitzern und kleineren Landwirten blieb nichts anderes übrig, als die Tiere in den Ställen loszumachen Die Rinder, Schweine und Schafe konnten so, nachdem das Futter im Stall aufgebraucht war, in der Natur nach Nahrung suchen. Viele Landwirte zögerten zu lange, diesen Schritt in die Tat umzusetzen, eine Flucht wurde für sie dadurch nicht mehr möglich.118 Die Verbundenheit mit ihrem Vieh war so groß, dass sie es vorzogen, lieber in die Hände der Roten Armee zu fallen, als ihre Tiere im Stich zu lassen.

Einzig die Pferde, die noch nicht von der Wehrmacht requiriert wurden, nahmen die Menschen mit auf die Flucht – sie sollten in den nächsten Wochen das Wichtigste sein, was ihnen geblieben war und so die Flucht ermöglichten. Die kräftigen Tiere mühten sich tagelang meist pausenlos auf den vereisten Straßen mit den schweren Leiter- oder Kastenwagen ab.

Das folgende Beispiel der Flucht eines Großtrecks muss nicht unbedingt als typisch für die Flucht der Bevölkerung aus dem Kreis Mohrungen gesehen werden, dennoch wird hier sehr deutlich, wie durch gute Organisation, Kenntnis der Landschaft, aber auch eine gute Portion Glück die Flucht gelingen konnte.
Leider liegen uns für den Bericht keine Namen der Hauptbeteiligten vor, daher müssen wir uns mit den vorhandenen Angaben begnügen.

Am 21. Januar abends um 18 Uhr wurde das Gut Prökelwitz von dem zuständigen NSDAP-Ortsgruppenleiter informiert, dass alle Vorbe-reitungen für die Evakuierung zu treffen seien. Am frühen Morgen des 23. Januars standen drei Leiterwagen mit dem Hab und Gut ebenso vieler Familien bereit. In der Nähe von Christburg war der Treck mit insgesamt 33 Wagen vollzählig. Die Leitung der Trecks übernahm Fürst Alexander v. Dohna-Schlobitten, der im Bericht aber einfach nur „Fürst“ genannt wird.
Bereits am 23. Januar konnte der Treck die Nogatbrücküberqueren und damit ein wichtiges Etappenziel der Flucht erreichen.
Die Flucht führte den Treck weiter durch Pommern.
Hier übernachteten die Flüchtlinge meistens in Schulen oder öffentlichen Gebäuden. Die Versorgung der Menschen übernahmen entweder die lokalen Reichsbauernführer, die NS-Frauenschaft oder in einigen Fällen auch das Deutsche Rote Kreuz.

Durch die guten Kontakte des Treckführers, des „Fürsten“, konnte bei der Durchquerung Pommerns immer wieder auf einigen Gutshöfen übernachtet werden. Hier wurden den insgesamt 250 Flüchtlingen ein gutes Quartier und auch eine reichhaltige Verpflegung geboten.

Während der Flucht wurde der Treck öfters von Feldgendarmerie zum Anhalten gezwungen. Sie sperrten wichtige Straßen für die Wehrmacht ab, damit diese die Front schneller erreichen oder auch im Bedarfsfall schneller verlassen konnte.
Nach fast einwöchigem Zwischenstopp konnte der Treck seinen Weg am 7. Februar fortsetzen.
Solche unverhofften Unterbrechungen der Flucht waren für die betroffenen Menschen sehr gefährlich – es bestand ständig die Gefahr von den herannahenden Panzerspitzen der Roten Armee überrollte zu werden. Mit viel Glück, aber auch durch die Kenntnisse und Beziehungen des Treckführers konnte Pommern nach fast einem Monat hinter sich gelassen werden.
Erst am 20. Februar erhielt der Treck in Prenzlau einen offiziellen Treckbefehl, der den weiteren Weg der Flüchtlingen bestimmen sollte.
Fortan waren die Einquartierungen und die Versorgung durch NSDAP-Organe vorgeplant, ab hier scheint sich auch die Stimmung bei den Flüchtlingen zu verschlechtern, denn die Organisation schien nicht mehr so reibungslos zu funktionieren wie noch unter dem Regiment des „Fürsten“.

Am 1. März überquerte der zwischenzeitlich um 25 Wagen angewachsene Treck die Elbe bei Dömitz. Von dort aus sollten die Flüchtlinge über Dannenberg nach Lüneburg geleitet werden. Hier wurde der Treck zum ersten Mal getrennt. Die letzten Teile des Trecks sollte einige Tage später, am 19. März, fast zwei Monate nach Beginn der Flucht, bei Soltau aufgelöst werden. Dort wurden die Menschen auf insgesamt 21 Ortschaften verteilt

Der Bericht erwähnt „nur“ zweimal Todesfälle und keine Angriffe der Roten Armee. Dies kann sicherlich als eine besondere Ausnahme betrachtet werden, denn die meisten anderen Berichte erwähnen häufige Übergriffe sowjetischer Einheiten, dies war fast immer mit einer großen Zahl von Todesopfern verbunden.

Der Prökelwitzer Treck hatte sicherlich in dieser Hinsicht großes Glück, obwohl auch seine Teilnehmer große persönliche Opfer erbringen mussten. Nach dem Verlust ihrer Heimat und ihres Besitzes wurde die Ortsgemeinschaft nach einer langen entbehrungsreichen Flucht regelrecht auseinandergerissen und auf halb Norddeutschland verteilt und verlor so auch einen großen Teil ihrer sozialen Kontakte.

Die Flucht anderer Trecks sollte sich wesentlich problematischer abspielen.

Durch die schwierigen Straßenverhältnisse in den ersten Tagen der Flucht wurde das Material sehr stark beansprucht. Pannen oder gar Komplettausfälle an den bespannten Leiterwagen konnte für viele Menschen das Ende ihrer Flucht bedeuten. In der allgemeinen Panik dachten die Flüchtlinge nicht daran, sich Ersatz zu beschaffen und Reparaturmöglichkeiten gab es natürlich auch keine mehr, da sich die Stellmacher ebenfalls auf der Flucht befanden.

Das Glatteis trug auch dazu bei, dass viele der völlig überladenen Leiterwagen verunglückten. Einmal umgekippt, bestand kaum mehr die Möglichkeit, das Gefährt wieder aufzurichten, da die Straßen derart überfüllt waren, dass kein Platz für solche Manövriertätigkeiten vorhanden war.
Den Menschen blieb also nichts weiter übrig, als ihre Flucht zu Fuß fortzusetzen.

Andere Flüchtlinge nutzten die schlechte Straßenbedingungen zu ihrem Vorteil aus. In der oft tief verschneiten ostpreußischen Landschaft waren bespannte Schlitten durchaus verbreitet, sie konnten sehr gut über die vereisten Wege gleiten. Auf solchen Schlitten war zwar lange nicht so viel Platz vorhanden wie auf den großen Leiterwagen, dafür hatten diese Fahrzeuge den großen Vorteil, relativ klein und wendig zu sein und so entsprechend schneller voranzukommen.

Doch mit den zunehmend stärker befahrenen Straßen sollte sich die Schneedecke dermaßen verändern, dass eine Weiterfahrt mit dem Pferdeschlitten immer schwieriger wurde

Der nachfolgende Bericht einer solche Fahrt zeigt die Schwierigkeiten, die bei der Flucht auftreten konnten.

„Von Marienburg aus fuhren wir am nächsten Morgen weiter über die Nogatbrücke. Hier wurde die Straße immer schlechter. In Kalthof blieben wir einfach liegen. Wir brauchten jetzt wieder einen Wagen.

Ein Offizier sagte: In 10 Minuten weiter oder Sie werden in den Straßengraben gekippt – die Straße muss frei bleiben.’
Schwester Emma sagte:"Gib mir genügend Zigaretten und Alkoholika, ich versuche für dich und mich je einen Wagen zu bekommen.’
So geschah es auch – wir mussten nur viel liegen lassen. Die nächste 20-Stunden-Fahrt durch die Niederung und über die große Weichselbrücke war eine so große Strapaze für Pferde und Menschen, dass es sich gar nicht beschreiben lässt.
Nachts hatten wir mindestens 20 Grad Frost.

Geretteter Alkohol half uns vor dem Erfrieren. Ununterbrochen rollten zwei, zuweilen drei Reihen Trecks, dazu eine Reihe Militär, Panzer, Gefangene und Remonten aus der Provinz Ostpreußen heraus und eine Reihe hauptsächlich Militärs auch noch wieder zurück.[...] Auf der Weichselbrücke (hier auch 4 Reihen!) blieb unser Wagen stehen.
Glücklicherweise hatten wir Werkzeug und Wagenschmiere mit.

Dank von Zigaretten halfen uns Soldaten beim Radwechsel und Abschmieren.“
Der Bericht beschreibt deutlich das vorhandene Chaos auf den Straßen in Richtung Westen. Gerade bei den wichtigen Verkehrspunkten wie der Nogat- oder Weichselbrücke kam es zu besonders großen Stauungen.
Die Militärpolizei sorgte für einen mehr oder weniger reibungslosen Ablauf.
Fahrzeuge, die ausfielen, wurden so schnell wie möglich aus dem Weg geräumt, um eine weitere Stauung zu vermeiden.

Selten konnten die Menschen mit Organisationstalent, wie im gerade gezeigten Fall, dieses Schicksal umgehen.
Die im Bericht erwähnten Wehrmachtskonvois sorgten durch ihren Vorrang bei der Überquerung natürlicher Hindernisse für zusätzliche Verzögerung bei der Flucht aus Ostpreußen.
Neue Kampftruppen, die zur Front hineilten, behinderten sich gegenseitig mit den sich von der Front zurückziehenden Truppen. Die ständig näherrückende Front sorgte für zusätzliche Angst bei den Menschen, nicht mehr rechtzeitig das sichere Ufer zu erreichen – in solchen Fällen machte sich oft Panik breit.
Doch solange die Brücken in deutscher Hand waren, konnten die Flüchtlinge Ostpreußen in Richtung Pommern verlassen, dort mussten sie so schnell wie möglich die Oderbrücken erreichen.
Die Gefahr bestand auch hier, von den Panzerspitzen der Roten Armee eingeholt zu werden, die sie dort von Süden her bedrohten (siehe Abb. 5). Die Situation wurde erst verheerend, als am 26. Januar 1945 den sowjetischen Truppen die endgültige Umklammerung Ostpreußens bei Elbing gelang.

Das offizielle Kriegstagebuch des OKW verschweigt diese Tatsache vollkommen, stattdessen findet man hier die kurze Erwähnung eines sowjetischen Panzervorstoßes auf Elbing (29. Januar 1945)

Nach der Einschließung Ostpreußens konnten die Flüchtlinge nur noch über das zugefrorene Haff die Hafenstadt Pillau erreichen und auf eine Evakuierung über See hoffen (siehe Kapitel 6.3).
Trotz aller Hindernisse und Gefahren erreichte ein großer Teil der Flüchtlinge aus dem Kreis Mohrungen das sicherere Reichsgebiet.

Für den Kreis Mohrungen kann abschließend zusammengefasst werden, dass die Menschen, die den Fluchtweg in Richtung Frisches Haff wählten (und damit eine Evakuierung über den Seeweg), eine größere Chance auf eine erfolgreiche Flucht hatten.

Die Flüchtlinge, die über Elbing auf dem Landweg fliehen wollten, sind zu einem großen Teil von der Roten Armee eingeholt worden.
Die Flucht mit der Eisenbahn brachte zwar auch große Gefahren mit sich, war aber letztlich für die vergleichsweise Wenigen, die mit ihr fliehen konnten, erfolgreicher.
Die meisten Flüchtlinge, die ihre Flucht erfolgreich abschließen konnten, haben keinen Kontakt mit der Roten Armee gehabt und berichten auch demnach nicht von den Gräueltaten an der Zivilbevölkerung.
Die Flüchtlinge wurden häufig von Flugzeugen der Roten Armee beschossen, hier kam es auch zu zahlreichen Opfern auf deutscher Seite. Für diese Übergriffe finden sich in den Quellen der Kreisgemeinschaft Mohrungen keine Berichte, was allerdings nicht heißen soll, dass sie nicht zahlreich vorgefallen wären.
Ein weitaus schwereres Los hatten die Menschen zu ertragen, denen die Flucht nicht gelang. Über ihr Schicksal soll im folgenden berichtet werden.

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7.4 Die missglückte Flucht – Leiden unter der Roten Armee


Die Situation im Kreis Mohrungen wurde mit dem schnelleren Vorrücken der Roten Armee immer dramatischer. Die Menschen, die nicht frühzeitig genug zu Evakuierung aufgefordert wurden, hatten es mit voranschreitender Zeit immer schwerer, rechzeitig das Kreisgebiet zu verlassen. Tausende Menschen wurden im Kreisgebiet oder unmittelbar danach von der Roten Armee einholt. Eine weitere Flucht war so nicht mehr möglich. Den Menschen blieb nichts anderes übrig, als sich an dem Ort, wo sie durch die Sowjets aufgehalten wurden, niederzulassen.

So zum Beispiel im Falle Erna Wittek aus Auer. Hier ordnete der Bürgermeister erst am 21. Januar 1945 um 22:30 Uhr die Evakuierung an.
Den Einwohnern aus Auer blieb entsprechend wenig Zeit, ihre Habe zu packen.
Erst spät am Morgen des 22. Januar begann die Flucht.
Die Straßen waren nun noch verstopfter als einige Stunden zuvor. Immer wieder mussten die Flüchtlinge ausweichen, um den Wehrmachtseinheiten, die in Richtung Saalfeld eilten, Platz zu machen. Wenige Kilometer westlich von Saalfeld wurde der Treck von russischen Panzern eingeholt.

Der erste Kontakt mit sowjetischen Soldaten, den Erna Wittek beschreibt, ist symptomatisch für das Verhalten der ersten Kampftruppen der Roten Armee.In fast allen Berichten spielten sich folgenden Szenen ab:
„Als es hell wurde, hielt ein Panzer an und sechs Mann kamen mit Poltern ins Haus und schlugen mit den Gewehren die Türen des Zimmers ein, in dem wir saßen. Ich stand am Bett mit dem Rücken zu den Soldaten, vor Angst zitternd und ich wollte nicht sehen, wie sie mich oder die anderen erschießen.

An ein Überleben glaubte ich nicht, sie nahmen nun allen die Uhren ab und da der Strom schon längst unterbrochen war, musste meine Mutter vom Boden bis zum Keller mitgehen. Sie suchten nach deutschen Soldaten, auch wir wurden alle nach Waffen untersucht.
Die Laterne nahmen sie mit, ich wollte meine Uhr nicht geben, aber sie wurde mir entrissen. Das war die erste Begegnung mit dem Feind. Wir blieben alle am Leben, damit hatten wir gar nicht gerechnet."

Auffallend häufig entrissen die sowjetischen Frontkämpfern den Flüchtlingen Schmuckgegenstände und Uhren. Allein in den vorliegenden Berichten aus dem Kreis Mohrungen wird diese Prozedur mindestens fünfmal erwähnt.
Es ist anzunehmen, dass die Soldaten diese wertvollen und leicht zu transportierenden Gegenstände als „Souvenirs“ oder als leicht tauschbare Güter an sich nahmen.

Doch nicht alle Begegnungen mit den Soldaten verliefen so ungefährlich. Bei Erna Wittek lesen wir weiter:
„Einige Soldaten kamen wieder rein, suchten alles durch und taten uns nichts, bis mich einer ausziehen wollte. Da fing ich an zu weinen, er ließ von mir ab und ging auf die Straße, griff sich ein anderes Mädchen und ging mit ihr in die Scheune. [...] Draußen wurde in allen Richtungen geschossen, Gebäude niedergebrannt, Frauen und Mädchen vergewaltigt, wer sich wehrte wurde erschossen, wer weglief auch, wir sahen viele Tote und wussten eben nicht, wie lange wir noch leben würden."

Berichte dieser Art gibt es leider sehr zahlreich.
Dort wo die Rote Armee auf deutsche Flüchtlinge traf, wurde vergewaltigt, gemordet und geplündert. Ausnahmen gibt es wenige. Zwar beteiligten sich nicht alle sowjetischen Soldaten an den gewaltsamen Übergriffen, doch die Zahl derer, die mitmachte, reichte aus, um tausendfaches Leid und Schande zu verbreiten.

Nach den vorliegenden Berichten muss davon ausgegangen werden, dass die Vergewaltigungen und Übergriffe der sowjetischen Truppen systematisch durchgeführt wurden. Zwar liegen keine Befehle höherer sowjetischer Militärdienstellen vor, die Gräueltaten durchzuführen, doch wurden diese sicherlich mit Tolerierung vieler Vorgesetzten durchgeführt.

Manche Übergriffe waren von derartiger Brutalität, dass man schon von einem Blutrausch gewisser sowjetischer Soldaten sprechen muss.
In vielen Berichten wird geschildert, wie die deutschen Flüchtlinge wahllos umgebracht wurden. Hierbei wurde kein Unterschied von Alter oder Geschlecht gemacht. Alleine schon derjenige der sich versteckte, konnte von den Soldaten als mutmaßlicher Soldat oder Untergrundkämpfer erschossen werden.

Nachdem den Flüchtlingen ihre Wertgegenstände von russischen Soldaten genommen wurden, requirierten die nachrückenden sowjetischen Versorgungstruppen die noch verbliebenen Zugpferde.
Eine Flucht war nun nicht mehr möglich, abgeschnitten von der Roten Armee und ihrer Zugpferde beraubt, blieb den Menschen nichts anderes übrig, als zu warten.
Die Trecks wurden einige Tage nach dem ersten Kontakt mit der sowjetischen Armee aufgelöst. Die Menschen blieben in den Orten, in denen sie aufgehalten wurden, oder zogen meist ohne ihren Wagen in ihre Heimatdörfer zurück.
Dort erwartete die Menschen ihr nächstes Martyrium.

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8. Vertreibung der verbliebenen Bevölkerung aus dem Kreis Mohrungen 1945-47


Die Besetzung des Kreises durch die Rote Armee fand unmittelbar nach deren Einmarsch im Januar 1945 statt. Nach vorsichtigen Schätzungen befanden sich von den ursprünglich ca. 56.000 Kreisbewohnern noch ca. 20.000 Menschen auf dem Kreisgebiet nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee, hinzu kamen noch ca.
20 bis 30.000 Flüchtlinge aus anderen ostpreußischen Kreisen.
Das Schicksal dieser Menschen soll auf den folgenden Seiten näher beschrieben werden. Der Zwangsarbeit, zu der die Deutschen herangezogen wurden, wird in Kapitel 9. der gebührende Rahmen eingeräumt.

8.1. Leben unter den Sowjets und Polen


Nach der Rückkehr der Flüchtlinge auf die eigenen oder fremden Höfe ging das Morden und Brandschatzen noch einige Zeit weiter. Die Lage verbesserte sich erst ein wenig, als die Fronttruppen weiter in Richtung Westen zogen. Die nachrückenden Etappeneinheiten zeichneten sich zwar nicht durch gar so hemmungslose Übergriffe aus, waren aber dennoch sehr grob und brutal gegenüber der Zivilbevölkerung. Die Vergewaltigungen der weiblichen Bevölkerung wie die körperliche Züchtigung der männlichen Bevölkerung sollte noch monatelang zur Tagesordnung gehören.

Die sowjetische Militärführung sah sich gezwungen, nachts bewaffnete Streifen auf Patrouille zu schicken, um die Zivilbevölkerung vor Übergriffen von Soldaten zu schützen. Den sowjetischen Soldaten war es demnach verboten, nachts Waffen zu tragen.
Die sowjetische Heeresleitung ging bereits während der fortschrei-tenden Kampfhandlungen in Ostpreußen (Belagerung von Königsberg) im Februar/März 1945 daran, eine Militärverwaltung zu etablieren.
Offiziell versuchte sie so schnell wie möglich, durch ständige militärische Präsenz der Anarchie vorzubeugen. Fakt ist aber, dass durch die sowjetischen Einheiten selbige ausgeübt wurde.

Russische Soldaten konnten sich an Mensch, Vieh und Besitz bedienen, wie es ihnen beliebte.

Bereits Anfang Februar trieben die Sowjets die Tausende, frei umherlaufenden Rinder ein, um sie dann auf, für das Militär beschlagnahmten, Höfen zu halten.
Von dort aus sollten die kämpfenden Truppen mit Fleisch versorgt werden. Ähnlich wurde auch mit den Lebensmittelvorräten verfahren. Die hungerleidende Bevölkerung konnte sich nur durch wenige versteckte Lebensmittel ernähren. Die sowjetische Militärverwaltung sorgte in den ersten Wochen und Monaten nicht für die Verpflegung der Zivilbevölkerung, ihr Bestreben war es eher, den Menschen das Wenige abzunehmen.

Sobald es die Wetterlage ab März 1945 zuließ, gingen die Menschen daran, auf Teilen ihres oder des durch sie zeitweise bewohnten Landes Feldfrüchte wie Kartoffeln, Rüben oder Getreide anzubauen. Aus Mangel an Saatgut und der Angst vor der Requirierung der Feldfrüchte bebauten die Menschen nur kleine, versteckte Felder.

Große Teile des fruchtbaren Landes lagen 1945 brach.
Die Feldarbeit erwies sich als sehr schwierig, da Zugpferde und –ochsen von den Sowjets bereits im Winter beschlagnahmt wurden, alle Arbeiten, ob Pflügen, Ernten oder Abtransport der Ernte, musste mit menschlicher Körperkraft bewältigt werden. Durch die mangelhafte Ernährung und die schlechten hygienischen Verhältnisse verbreiteten sich schon bald Seuchen wie Typhus und Cholera. Helga Gonner aus Hagenau berichtet über die hygienischen Bedingungen:

„ Dass sich Krankheiten einstellen mussten, war unausbleiblich, denn überall waren inzwischen Ratten. [...] Ich bekam, wie schon viele vor mir im Dorf, Typhus und war ein dreiviertel Jahr lang sehr krank. Oftmals hat uns meine ausgemergelte Gestalt im Bett vor den Russen gerettet. Sobald wir ‚Typhus’ sagten, verschwanden sie wieder. [...] Die meisten Erkrankten starben an dieser Seuche, da es keinerlei ärztliche Versorgung gab. Im Mohrunger Krankenhaus arbeiteten deutsche Ärzte für die Russen. Frau Satzkowski war meinetwegen in Mohrungen bei einer solchen Ärztin, die ihr jedoch sagte, dass alle deutschen Kranken, die dort nicht einmal in den Zimmern liegen durften, kaum ärztlich und mit keinerlei Medikamenten versorgt würden.“141

Unzählige Menschen sind alleine im Kreis Mohrungen an Erschöpfung, Unterernährung oder Seuchen gestorben – die genaue Anzahl bleibt bis heute ungewiss.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollte sich die Situation für die deutsche Zivilbevölkerung kurzfristig verbessern. Die sowjetischen Soldaten waren in Siegeslaune. In einem Fall wird davon berichtet, dass die sowjetischen Soldaten die weiblichen, deutschen Zwangsarbeiter zu einer Feier einluden.

Die Stimmung war zwar relativ angespannt, schließlich hatten die Frauen Angst, vergewaltigt zu werden, sie lockerte sich aber im Laufe der Veranstaltung. Die Russen zeigten sich zum erstenmal seit Monaten als zivilisierte Männer und gute Gastgeber.

Dieses Verhalten war sicher nicht die Regel, zeigt aber doch, dass sich mit dem Ende des Krieges die Spannung ein wenig legte.
Im Sommer 1945 sollte sich das Blatt wieder wenden. Grund für diese Wende waren die Beschlüsse von Jalta und der Potsdamer Konferenz (siehe Kapitel 10.2).
Die sowjetischen Soldaten zogen vertragsgemäß ab und überließen die Städte und Dörfer in Ostpreußen der neuen polnischen Verwaltung. Der Abzug fand im Kreis Mohrungen über einen langen Zeitraum statt. Die ersten Einheiten verließen den Kreis schon im Juni 1945 (Königsdorf nördlich von Mohrungen)143, andere erst im August (Horn südlich des Narien Sees)144 oder mancherorts erst im Oktober 1945 (Bagnitten am Röthloff See).

Die sowjetischen Soldaten versäumten es nicht, vor ihrem Abzug die wenigen Maschinen und industriellen Einrichtungen des Kreises zu demontieren.
In der Hauptsache dürfte es sich dabei wohl um Zugmaschinen, Werkzeugmaschinen oder ähnliches gehandelt haben. Die vielleicht für die Infrastruktur des Kreises einschneidendste Veränderung war die Teildemontage des Schienennetzes. Hierbei wurden hauptsächlich Nebenstrecken und Privatschienen entfernt.

Mit dem Einzug der neuen polnischen Besatzungsmacht sollte ein noch härteres Regime für die Menschen im Kreis Mohrungen einziehen. Nach zahlreichen Berichten schienen die Polen die verbliebene deutsche Bevölkerung mit besonderer Verachtung und Grausamkeit zu behandeln.
Der polnischen Verwaltung war es zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass es kein dauerhaftes Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung geben würde – entsprechend rücksichtslos wurde im Umgang mit ihr verfahren.
Bereits vor der Verwaltungsübernahme der Polen im Sommer 1945 gelangten im März/April 1945 die ersten polnischen Familien in den Kreis Mohrungen.
Die Polen begannen damit, das Werk der sowjetischen Soldaten fortzusetzen, indem sie der Bevölkerung die letzten Tiere und Wertgegenstände nahmen.
Hierbei müssen die Polen, laut den Berichten der betroffenen Deutschen, besonders rücksichtslos vorgegangen sein. Hauseinrichtung wurde hierbei ziel- und wahllos zerstört, oftmals wurden ganze Höfe niedergebrannt.

Die vandalisierenden Polen wollten auf diese Weise der deutschen Bevölkerung wohl ummissverständlich zeigen, wie wenig sie in Ostpreußen noch willkommen waren. Nachdenklich stimmt bloß die Tatsache, dass die Polen zu diesem Zeitpunkt schon wissen mussten, dass der deutschen Bevölkerung die Vertreibung bevorstand. Die Zerstörung von Häusern und Höfen scheint aus diesem Grund sehr sinnlos, da sie doch später von Polen hätten bewohnt werden können.

Doch mit solchen Taten schufen die Polen Tatsachen, die später kaum mehr rückgängig zu machen waren. Ziel war es, in einem kurzen Zeitraum so viele Polen wie möglich in den besetzten Gebieten anzusiedeln.

Die Ansiedlung der polnischen Bevölkerung schien ziemlich planlos vonstatten zu gehen. Die ersten eintreffenden polnischen Trecks stammten zum größten Teil aus den Armutsvierteln polnischer Großstädte.
Diese Menschen verstanden naturgemäß sehr wenig von Landwirtschaft, was eine Ansiedlung im Kreis Mohrungen nur sehr schwer nachvollziehbar macht.
Die so von den Polen, nach der Vertreibung der verbliebenen deutschen Bevölkerung, übernommenen Höfen verkamen sehr schnell.

Andere Polen ließen die ursprünglichen deutschen Hofbesitzer für sich arbeiten, so konnten sie, trotz mangelnder Kenntnisse, gute Ernteergebnisse erwirtschaften.
An manchen Orten wurden durch die zusammengetriebenen Kuhherden regelrechte Milchfabriken eingerichtet, auf denen viele Deutsche zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.
Brutale Übergriffe der Polen auf die verbliebene deutsche Bevölkerung fanden weiterhin statt.
Die in den meisten Orten eingerichtete polnische Verwaltung sollte mit Hilfe der zur Wahrung von Ruhe und Ordnung aufgestellten polnischen Miliz solche Übergriffe verhindern.
Doch in den meisten Fällen vertrat die Miliz nur die polnischen Interessen.
Der deutschen Bevölkerung sollte das Schlimmste jedoch noch bevorstehen.

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8.2. Die Vertreibung


Bereits im September 1945 waren im Kreisgebiet Gerüchte zu hören, dass die verbliebenen Deutschen vertrieben werden sollten. Doch die Deutschen konnten sich dies nur sehr schwer vorstellen, wie sollten die Polen ohne sie die Felder bewirtschaften und die Tiere versorgen?
Doch die Kreisbewohner konnten nicht wissen, dass ihr Schicksal schon vor langer Zeit beschlossen worden war.
Im Gegensatz zu den bisherigen schlecht organisierten Aktionen der polnischen Verwaltung sollte die Vertreibung gut vorbereitet sein. Im gesamten Kreisgebiet erging Anfang November 1945 Order an alle Kommandanturen, die Vertreibung der deutschen Bevölkerung vorzu-bereiten. Zwischen dem 5. und 30. November sollten die meisten Deutschen aus dem Kreisgebiet vertrieben werden.
Die Vertreibung verlief in fast allen Kreisteilen parallel und fast identisch ab. Am Vorabend der Vertreibung wurde die Ausweisung der Deutschen durch den polnischen Bürgermeister bekannt gegeben.

Die deutschen Einwohner wurden aufgefordert, sich am nächsten Tag an einem bestimmten Punkt im Ort zu versammeln.157 Hier wurde der wenige noch verbliebene Besitz der Deutschen von den ortsansässigen Polen geplündert. Von besonderem Interesse waren Wertgegenstände, Geld oder warme Winterkleidung.

Nach der Ausplünderung durch die Polen wurden die Menschen zu Sammelpunkten getrieben, um von dort aus in größeren Gruppen nach Mohrungen geschickt zu werden.
Abb. 12 Bekanntmachung der bevorstehenden Vertreibung der deutschen Bevölkerung (De Zayas S. 126) Leider sind keine Bekanntmachungen aus dem Kreis Mohrungen zu finden. Die Anschläge aus dem Kreis Mohrungen ähnelten aber sicherlich dem hier abgebildeten Faksimile aus Allenstein.


Die meisten Deutschen mussten diese Entfernung zu Fuß zurücklegen – viele kamen hierbei ums Leben, ihre Körper wurden einfach am Straßenrand liegen gelassen.
Nach der Ankunft in Mohrungen wurden die Personen wieder in Sammellager gebracht. Im Laufe der nächsten Nacht wurde die heimliche Verlegung zum Bahnhof durchgeführt.
Die polnische Miliz vermied das Tageslicht, um diese unmenschlichen Szenen vor den Blicken der neuen Einwohner in Mohrungen zu verbergen. Man befürchtete Mitgefühl für die Deutschen und konnte keine unnötigen Augenzeugen der Vertreibung gebrauchen.
Am Güterbahnhof von Mohrungen spielten sich schrecklichen Szenen ab, ähnlich den Transporten von Juden und anderer Verfolgter in die KZ Polens und der Ukraine.

Zwischen dem 10. und 17. November 1945 muss wohl täglich ein bis zu 50 Waggons zählender Zug bereitgestanden haben.
Es handelte sich hierbei zum größten Teil um geschlossene Viehwagen der Reichsbahn. In jeden dieser Waggons wurden zwischen 90 und 120 Menschen gepfercht.
Damit fasste ein solcher Zug mindestens 5000 Vertriebene aus dem Kreis Mohrungen.

Den Menschen blieb in den nur spärlich mit Stroh ausgestatteten Waggons kaum Platz zum Sitzen. In den Wagen hatten die Menschen keinerlei sanitären Einrichtung.
Da der Zug kaum anhielt, mussten die Menschen ihre Notdurft im geschlossenen Waggon verrichten – die hygienische Situation war entsprechend katastrophal.
Die Zugfahrt führte in allen berichteten Fällen über Deutsch-Eylau, Thorn und Schneidemühl (Pommern), von dort fuhren die Züge entweder in Richtung Berlin oder Mecklenburg. Die Fahrt fand unter schlimmsten Bedingungen statt. Bis auf wenige nicht entwendete Nahrungsmittel hatten die Menschen keinerlei Verpflegung. Wasser gab es nur in den seltensten Fällen, daher starben viele Menschen an Erschöpfung oder Hunger.

An wenigen Haltestellen bot man den Vertriebenen Nahrungsmittel zum Kauf an.

„Zu essen und zu trinken gab es bis Schneidemühl nichts. Dort stand der Zug drei Tage. Die Polen hatten dort eine Verkaufsstelle, wo Meta Weiß für ihre Mutter zwei Semmeln für 100 Mark kaufte. Das kostete auch eine Kelle Suppe. Waltraut gab die Pelzmütze ihres verstorbenen Opas für ein halbes Brot.“

Ähnliche Szenen spielten sich bei jedem Transport ab. Doch nur die wenigsten konnten sich die teuren und zudem noch qualitativ schlechten Nahrungsmittel leisten. Menschen, die nicht den Hungertod starben, standen oftmals vor dem Wahnsinn. In einem Fall wird von Männern berichtet, die sich vor Verzweifelung gegenseitig umbrachten.
Bei jedem Halt des Zuges wurden so zahlreiche Menschen neben dem Gleisbett aufgebahrt. Die Schätzungen gehen hier von 20-30 Todesfällen pro Tag aus. Angesichts der schlechten Versorgung der Menschen scheint diese Zahl nicht zu hoch gegriffen zu sein. Die ersten Opfer waren meist alte Menschen, Kinder oder Verletzte und Kranke.

Die Gesamtzahl der bei dem Transport ums Leben gekommenen Menschen ist sehr schwer zu schätzen, liegt aber vermutlich um 10%.

Bei den wenigen Zwischenstopps wurden die gebeutelten Menschen noch mehrmals ausgeplündert. Hierbei beteiligten sich nach den Berichten der Opfer oftmals polnische Milizsoldaten oder Eisenbahner.165 Die Dauer der Fahrt war sehr unterschiedlich. Im günstigsten Fall benötigte der Zug eine Woche für die wenige hundert Kilometer lange Strecke nach Berlin. Durch die wenigen, aber dafür langen Zwischenstopps konnte sich die Fahrt bis auf sechs Wochen hinstrecken . Solche Fahrtzeiten bildeten aber eher die Ausnahme.

Die Insassen der Züge erreichten in einem erschreckenden Zustand die Auffanglager in der sowjetischen Besatzungszone. Hier wurden die Menschen unter ähnlich schlechten Bedingungen untergebracht. In den ersten Tagen kam es aufgrund der hohen Zahl von Vertriebenen zu Engpässen an Nahrungsmitteln und Unterbringungsmöglichkeiten. Die zahlreichen unterernährten und kranken Menschen konnten nur ungenügend versorgt werden. In den ersten Wochen starben dementsprechend viele Menschen an Typhus.

Auf Wunsch konnten die Vertriebenen zu Verwandten in die westlichen Besatzungszonen weiterreisen oder sich in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) niederlassen. Für viele endete die Odyssee aber erst im Januar 1947 – 20 Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

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8.3. Die späten Ausweisungen


Bei der großen Vertreibungswelle im November/Dezember 1945 wurden die meisten Einwohner des Kreises Mohrungen ausgewiesen. Eine kleine Zahl musste aber aus den oben genannten Gründen zurückbleiben.167 Im Folgenden soll kurz auf deren Schicksal eingegangen werden.

War die Ausweisung der deutschen Bevölkerung im Herbst 1945 noch von den polnischen Behörden bewusst herbeigeführt, so wurde ihr teilweise in der Folgezeit die Ausreise verweigert. Die wenigen Deutschen, die noch in kleinen Gruppen in ihren ehemaligen Dörfern und Städten wohnten, mussten zahlreiche Demütigungen über sich ergehen lassen. Viele entschieden sich daher so schnell wie möglich, die alte Heimat zu verlassen. Nur mit viel Geschick und Überredungs-kunst konnte man die zuständigen Behörden von der Notwendigkeit der eigenen Ausreise überzeugen.

„Ebenfalls wurde immer gesagt, dass Facharbeiter, wie mein Großvater, oder die mit den masurischen Namen nicht mit dürften. So begannen wir, die wir befürchteten, zu diesen zu gehören, den Bürgermeister zu bestechen, uns mit einzuteilen.
Es war ganz lustig zu sehen, wie Leute vergrabene Sachen ausbuddelten oder mein Großvater ein Fahrrad auf dem Scheunenboden unter dem alten Heu hervorholte und es zum Bürgermeister brachte. Jedenfalls kamen alle außer Demskis, Melzers und Frau Koslowski mit.“
Wie im Fall von Hagenau wurden die letzten verbliebenen Deutschen nach Mohrungen transportiert. Hier wurde das wenige Gepäck von den Polen geplündert.
Unzählige Menschen aus vielen Ortschaften des Kreises Mohrungen wurden in der Turnhalle der Herderschule untergebracht. Auch hierbei gingen die polnischen Zuständigen mit der gewohnten Brutalität vor.

Am nächsten Tag wurden die Menschen zum Mohrunger Bahnhof getrieben, wo sie auf bereitstehende Züge verladen werden sollten. Diesmal herrschte nicht die drangvolle Enge der vorherigen Transporte.

Bei diesem letzten großen Transport legten die Polen Wert darauf, dass die Menschen mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt wurden, ebenfalls blieben die ständigen Plünderungen aus. Nach relativ zügiger Fahrt wurden die Menschen für einige Wochen in Zwischenlagern in der SBZ untergebracht. Von hier aus wurden sie auf die umliegenden Landgemeinden verteilt.169
Die noch wenigen verbliebenen Deutschen im Kreis Mohrungen reisten in den Jahren 1947 bis 1954 vereinzelt aus. Auch hierbei mussten ungewöhnliche Wege ersonnen werden, um die Ausreise zu erwirken.

Der Bericht von Herbert Preuss aus Taabern schildert, wie die Familie durch einen Verwandten aus der SBZ über das polnische Konsulat in Berlin angefordert wurde. Sie konnten auf diese Weise Ostpreußen im Januar 1949 verlassen.170 Anderen wiederum gelang die Ausreise nur mit einem Trick.
Helene Grünberg aus Mohrungen beantragte 1955 eine Besuchsreise in die DDR, die ihr auch nach einiger Zeit bewilligt wurde. Nach Ankunft in Ost-Berlin konnte sie unter größeren Gefahren, schließlich hatte sie einen polnischen Pass und kein gültiges Visum für Westberlin, die Sektorengrenze nach Westberlin überqueren.

Nicht vergessen werden sollten die Ostpreußen, die in ihrer Heimat blieben. Es gab unterschiedliche Motive für die Menschen, in Ostpreußen zu bleiben. Manchen wurde sicherlich bis in die 70er Jahre die Ausreise verweigert, andere aber wollten sich aber auch nicht von ihrer Heimat trennen.
Die Menschen hatten sich zum Teil mit ihrem Schicksal abgefunden und in ihrer alten, veränderten Heimat ein neues Leben begonnen.

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9. Zwangsarbeit und Deportation


Ein weiteres düsteres Kapitel in der Besetzung Ostpreußens durch das sowjetische Militär und später durch die polnische Verwaltung ist die Verpflichtung vieler Männer und Frauen zur Zwangsarbeit.
Hierbei muss zwischen der Zwangsarbeit, die in Ostpreußen und Pommern geleistet wurde und den Deportationen in die Sowjetunion unterschieden werden. Letztere dauerte unter Umständen Jahre und forderte zahlreiche Menschenleben.

9.1. Die Zwangsarbeit in Ostpreußen bis zur Vertreibung


Mit dem Einzug der sowjetischen Truppen in das Kreisgebiet sollte neben den ständigen Brutalitäten und Morden ein weiteres Kapitel des Leidens für die Menschen eröffnet werden. Noch während der anhaltenden Kampfhandlungen rekrutierten die Sowjets aus den Flüchtlingen in der unmittelbaren Nähe ihrer Einheit Arbeitskräfte.

Da die meisten jungen Männer zwischen 16 und 40 Jahren im Feld waren, griffen die sowjetischen Soldaten auf die Männer in den darüber und darunter liegenden Altersgruppen, in der Hauptsache aber auf Frauen zurück. So wurden für den Bau mehrerer Geschützstellungen eine ganze Gruppe von Flüchtlingen verpflichtet. Die Menschen mussten über Wochen hinweg Bäumen fällen und Erdbewegungsarbeiten durchführen.
Die Kolonne wurde dann von der sowjetischen Armee immer wieder im Bedarfsfall für die unterschiedlichsten Arbeiten eingesetzt.

Auch nach dem Ende der Kampfhandlungen im Kreis Mohrungen sollte der Arbeitseinsatz für die sowjetische Armee uneingeschränkt weitergeführt werden. Durch die großen Schäden am Straßennetz und zahlreichen Bauwerken im Kreisgebiet wurden immer wieder neue Arbeitskolonnen aus der deutschen Bevölkerung rekrutiert.

Meistens bildeten die zusammengezogenen Menschen eine Einheit, die unterschiedlichste Arbeiten zu erledigen hatte.
Für die Auswahl der arbeitsfähigen Deutschen sorgte die sowjetische Geheimdiensteinheit NKWD.

Diese erschienen immer unerwartet in den Dörfern des Kreises und trieben eine große Zahl von Menschen zusammen, die sie dann mit LKW forttransportierten. Die weniger Glücklichen wurden bei solchen „Sammelaktionen“ in die UdSSR verschleppt (vgl. 9.2), ein großer Teil dieser deutschen Zwangsarbeiter leistete seinen Dienst aber im Kreisgebiet ab.

Die Frauen und Männer wurden in dafür vorgesehenen Gebäuden einquartiert. Eins dieser zahlreichen Gebäude war eine ehemalige Kaserne in Mohrungen.
Hier wurde unter anderem ein Trupp von 51 Mädchen und einem Jungen untergebracht. Diese Menschen mussten unterschiedlichste Arbeiten leisten, u.a. Wäschereidienste für die Rote Armee, Schutträumarbeiten, Befestigung von Straßen, Einsätze auf diversen Bauernhöfen.

Die Zwangsverpflichteten mussten wochenlang Schwerstarbeit bei karger Verpflegung und schlechter Behandlung leisten. Vergewalti-gungen durch russische Soldaten waren im April 1945 noch üblich.

Wurden die Mädchen nach wochenlanger Arbeit, die sie körperlich und seelisch völlig auslaugte, entlassen, konnten sie meist nach Hause zurückkehren.

Doch die Willkür dieser Tage konnte die gerade Entlassenen erneut zu Opfern werden lassen. Erna Wittek aus Auer berichtet von einem Zwischenfall, bei dem sie auf der Rückkehr zu ihrem Dorf von sowjetischen Soldaten abgefangen wurde und zur Arbeit in einer Armeeküche gezwungen wurde Hier musste sie wochenlang bis zu ihrer „Entlassung“ ihre Dienste kostenlos zur Verfügung stellen.

Aus einem anderen Bericht geht hervor, dass die Arbeit für die sowjetische Armee zwar unter Zwang und ohne Entlohnung verrichtet werden musste, die Behandlung aber nicht immer brutal und rücksichtslos war.
„Alle Arbeiten mussten von den deutschen Menschen ohne Entlohnung geleistet werden. Die sie beaufsichtigenden Russen waren wenigstens human gegenüber unseren Frauen und Mädchen.

Sie ließen sie hin und wieder eine Pause machen, setzten sich mit ihnen hinter eine Hecke und befahlen: ‚Christel, Rita spiwai.’, was singen bedeutet. Dabei vergaßen sie oft die Zeit, vor allem, wenn das Wolgalied angestimmt wurde, dann sangen sie zusammen in russischer und deutscher Sprache.“

Im Sommer 1945 wurde die Ernte zum Teil noch durch die im Kreis stationierten Einheiten der Roten Armee organisiert. Auch hierbei wurden willkürlich Menschen zusammengezogen, um die Arbeiten in den nächsten Tage zu verrichten.

Mit der Übernahme der Verwaltung durch die Polen im Spätsommer 1945 sollte sich an der eigentlichen Zwangsarbeit wenig ändern, nur der Umgang mit den Deutschen wurde nach vorliegenden Berichten noch unmenschlicher.

„Wenn die Frauen bei den Polen ernten mussten, ging es nicht so human zu wie bei den Russen. Arbeiteten sie nicht schnell genug oder ließen sie ein paar Halme liegen, so traten sie sie mit den Stiefeln ins Kreuz oder schlugen mit dem Gewehrkolben zu. Sie waren überhaupt sehr brutal.“

Die wilde Zwangsrekrutierungen der Sowjets ließen nach, und die Menschen wurden hauptsächlich für einen längeren Zeitraum an einer Arbeitsstelle eingesetzt.

Die Polen, die nun die beschlagnahmten Höfe der Deutschen bewirtschafteten, benötigten die meisten Arbeitskräfte im Kreis. Die arbeitsverpflichteten Frauen und Mädchen wurden hauptsächlich zu Melkarbeiten, Viehhüten oder Erntearbeiten eingesetzt. Oftmals wurden die ehemaligen Eigentümer auf ihren eigenen Höfen zur Arbeit eingesetzt.

Die neuen polnischen Besitzer machten sich hier den Fleiß und die Eigenverantwortung der ehemaligen Besitzer zunutzen, die immer noch die Hoffnung hatten, ihre Höfe eines Tages zurückzuerhalten, und sie daher besonders gut bewirtschafteten.

Die Behandlung der Polen gegenüber den deutschen Zwangsarbeitern war nicht überall gleich, so wird an anderer Stelle von einer fairen Behandlung der Deutschen durch die Polen berichtet, die deren harte Arbeit respektierten.

Viele Deutsche leisteten noch im Sommer 1946 unbezahlte Dienste für die Polen, die erst mit ihrer Vertreibung endeten. Die ganze Thematik der Zwangsarbeit der verbliebenen Deutschen in Ostpreußen ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.
Zwar hatte sie lange nicht die Ausmaße der Zwangsarbeit, die für die deutsche Wirtschaft und die Wehrmacht von Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen oder ausländischen Zwangsarbeitern geleistet werden musste, trotzdem sollte sie aber nicht vollkommen vergessen werden, denn auch hier wurden viele Menschen durch schwerste Arbeit, schlechte Ernährung und Brutalität getötet.

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9.2. Deportation in die Sowjetunion


Während des Zweiten Weltkrieges war es auf allen Seiten üblich, Zivilisten zu Arbeiten heranzuziehen.
Die westlichen Alliierten machten kaum Gebrauch von dieser Praxis, im Gegensatz zur Sowjetunion und zum Deutschen Reich.
Daher gehören auch die Deportationen von unzähligen Frauen und Männern aus Ostpreußen in die Sowjetunion zu den schlimmen Folgen der Besetzung durch die Rote Armee.

Obwohl die Zwangsarbeit unter den Nationalsozialisten in aller Munde ist und in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird, wird die Verschleppung hunderttausender Deutscher in die Sowjetunion von der europäischen Öffentlichkeit fast gänzlich verdrängt. Dies schließt die Diskussion in der Bundesrepublik mit ein.
Auch die Bevölkerung des Kreises Mohrungen, deren Schicksale in dieser Arbeit behandelt wird, wurde Opfer zahlreicher Deportationen, die unmittelbar nach dem Eindringen der sowjetischen Truppen in das Kreisgebiet begannen.

Bereits zwei Wochen nach Sichten des ersten feindlichen Panzers wurden in der ersten Februarwoche 1945 zahlreiche Menschen zusammengetrieben und deportiert.
Die sowjetischen Truppen und der Geheimdienst NKWD waren auf der Suche nach jungen, arbeitsfähigen Menschen, doch durch die Flucht und den schon lange anhaltenden Krieg waren nur noch wenige Menschen dieser Zielgruppe vorhanden.
Die Sowjets kümmerten sich nicht sonderlich um diesen Missstand und rekrutierten die erforderliche Zahl an Zwangsarbeitern einfach aus der verbliebenen Menschenmenge. Hierbei wurde kaum auf Alter und Geschlecht geachtet.

Auffällig häufig wurden junge Frauen zwischen 14 und 30 Jahren zusammengetrieben, darunter waren sogar einige Hochschwangere.
In den wenigen vorliegenden Berichten über die Zwangsarbeit der Menschen aus dem Kreis Mohrungen wird die Praxis der Sowjets immer gleich beschrieben. Sowjetische Trupps trieben meist 100 – 200 Menschen mit der bekannten Brutalität aus mehreren Orten zusammen. Diese wurden dann in Sammellager der Umgebung gebracht. Das vielleicht größte und gefürchtetste Lager war das ehemalige Sägewerk Makowski in Mohrungen.

Es gab aber noch zahlreiche kleinere Lager. Die wurden je nach Bedarf in den Ortschaften kurzfristig eingerichtet. Hierzu bedienten sich die sowjetischen Soldaten leerstehender Hallen, Scheunen oder Kellergebäude.

Die zusammengepferchten Menschen mussten dort meist einige Tage ausharren.
Sie mussten unter physischen und psychischem Druck Dokumente in kyrillischer Schrift unterzeichnen. Die als „Angaben zur Person“ ausgegebenen Dokumente stellten sich später als Arbeits-verträge heraus. Bei den meisten anderen machten sich die Sowjets nicht einmal die Mühe, sie zu täuschen, sie wurden einfach ohne Nennung von Gründen eingesperrt und später verschleppt.

Nach der tagelangen Inhaftierung im Kreisgebiet wurden die Zwangsarbeiter aus dem Kreis Mohrungen in die Gefängnisse Bartenstei und Insterburg überstellt.
Von hier aus wurde der Abtransport zentral organisiert.
Nach einigen Tage Aufenthalt in den Gefängnissen wurden die Menschen ab Ende Februar auf russische Waggons verladen.

Die Anzahl der Waggoninsassen schwankte zwischen 50 und 100 Personen. Es herrschte eine drangvolle Enge. Die Waggons waren nur notdürftig mit Stroh ausgelegt – hygienische Einrichtungen gab es nicht. In den zahlreichen Transporten aus Ostpreußen waren jeweils zwischen 1.500 und 3.000 Personen

Die Fahrt dauerte zwischen 14 und 30 Tagen. Die Fahrtdauer richtete sich hierbei nach der Lage der Arbeitslager. Manche Lager lagen unmittelbar im Uralgebirge, andere wiederum in Mittelsibirien. Es wird zudem von Zwischenstopps in Moskau zur „Entlausung“ berichtet. Diese Zwischenstopps verlängerten die Fahrt zusätzlich.

Auf der Fahrt starben bereits zahlreiche Menschen an Unterernährung und Erfrierungen. Bei der Ankunft in den Lagern waren die überlebenden Frauen und Männer in einem entsprechend schlechten gesundheitlichen Zustand. Offiziell wurde den neuen Zwangsarbeitern eine Ruhepause von 14 Tagen zugesprochen, die aber nicht immer eingehalten wurde.

In den Lagern befanden sich zum Teil bereits deutsche Kriegsgefangene, die in den vorangegangenen Jahren schon zum Arbeitseinsatz nach Sibirien verbannt worden waren.
Unter den deutschen Soldaten waren auch einige gefangene Armeeärzte, die sich so gut wie möglich um die Versorgung der Kranken kümmerten.
Die Verschleppten wurden entweder in gemischte oder reine Frauenlager untergebracht. Die Menschen hausten in erbärmlichen Baracken, die nur unzureichend geheizt wurden.
Nach der kurzen Erholungsphase teilte man die Frauen und Männer in Arbeitskolonnen unterschiedlicher Größen ein, diese hatten unterschiedliche Arbeiten, wie Holz fällen oder Bauarbeiten zu erledigen. Andere wiederum wurden Bergwerken zugeordnet, die besondere Gefahren mit sich brachten.

Die Erlebnisse der Menschen in den sowjetischen Lagern ähneln sich in den vorliegenden Berichten aus dem Kreis Mohrungen sehr stark. Der Bericht von Käthe Samuel aus Hagenau soll hier exemplarisch von den Leiden der Zwangarbeiter berichten.

Bis zum Sommer 1945 war die Autorin in dem Lager Nischni-Tagil im Uralgebirge untergebracht. Hier musste sie vor allem Rodungsarbeiten durchführen.
Diese körperlich anstrengende Arbeit forderte schon bald ihre Opfer. Trotz der Aufbesserung der Nahrung mit amerikanischen Konserven starben täglich zwischen 30 und 40 Menschen. Ihre Tagesration bestand aus einem Liter dünner Suppe, einem Löffel Hirse- oder Graupenbrei und 200g Brot.

Viele Menschen wurden durch Krankheiten und Seuchen, wie Ruhr oder Typhus gezeichnet. Den arbeitsunfähigen Überlebenden des harten Winters wurde mit Kriegsende am 8. Mai 1945 die Heimkehr zugesagt. In der Tat kehrten im Frühjahr 1945 einige tausend Menschen, darunter auch einige Bewohner aus dem Kreis Mohrungen, nach Deutschland zurück.

In der Folgezeit wurde Käthe Samuel mehrmals in andere Arbeitslager verlegt. Hier wurde sie zusammen mit internierten Wolgadeutschen zur Feldarbeit eingesetzt. Anfang 1946 wurde dann den Gefangenen erstmals gestattet „Rote Kreuz Karten“ in die Heimat zu schreiben, deren Antworten auch dann tatsächlich an die Gefangenen weitergegeben wurden.

In den Jahren 1946 bis 1948 wurde Käthe Samuel in mehrere Lager verlegt. Nach einem Holzlager und einem Lager, in dem Torf gestochen wurde und einer landwirtschaftlichen Kolchose landete die Autorin Anfang 1949 in einem Erzbergwerk.

Hier durfte sie sich nach mehr als vier Jahren Gefangenschaft erstmals frei bewegen. Mitte 1949 wurde der kleinen Gruppe deutscher Frauen verkündet, dass sie in ihre Heimat zurückkehren durften.
Den Frauen wurde die Wahl gelassen, in welche Besatzungszone sie ausreisen wollten – hierbei wurden den Frauen natürlich die Vorzüge der SBZ besonders nahegelegt.
Anfang Oktober 1949 wurden jeder Frau 200 Rubel ausgezahlt.
Von diesem Geld konnten sie sich erstmals seit Jahren private Kleidung und Konsumgüter kaufen.
Der Transport nach Deutschland wurde mit vergleichsweise komfortabel ausgestatteten Viehwaggons durchgeführt.
Am 8.11.1949 erreichte der Zug die DDR, wo jede Frau ein Begrüßungsgeld von 20 Mark (Ost) erhielt.
Nach einer gründlichen Untersuchung wurde der Transport nach Friedland in die Bundesrepublik weitergeleitet. Mit einem Entlassungsschein und 40 DM konnte Frau Samuel zu ihren Verwandten ins Ruhrgebiet weiterreisen, wo ihre viereinhalbjährige Odyssee am 11.11.1949 endete.

Andere Zwangsarbeiter, wie Anna Koch aus Mohrungen kehrten erst Mitte 1952 aus der sowjetischen Gefangenschaft zurück. Die lakonische Verabschiedung des Lagerkommandanten lautete:
„Ihr habt 7 _ Jahre unschuldig als Opfer des faschistischen Hitlerkrieges gesessen.“

Nach Berichten der Zeitzeugen waren die Jahre 1945-47 die schrecklichsten der Gefangenschaft. Unzählige Menschen starben in den sowjetischen Lagern an Krankheiten, Unterernährung, Unfällen, dem unmenschlichen Klima oder schlichtweg an Verzweiflung. Die Verschleppten hatten kaum Hoffnung ihre Heimat und Familien wiederzusehen. Ab 1948 sollen sich die Bedingungen für die deutschen Zwangsarbeiter verbessert haben – ein nur schwacher Trost, schließlich wurden sie bis dahin bereits um Jahre ihres Lebens beraubt.
Von den ca. 874.000 verschleppten, deutschen Zivilisten kehrten nur etwa 55% nach Deutschland zurück.
Annähernd 400.000 Frauen und Männer ließen ihr Leben in Sibirien.
Die rückkehrenden Zwangsarbeiter litten noch jahrelang, manche noch Lebende bis heute, an den physischen und psychischen Folgen ihrer Verschleppung.

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10. Die Aufnahme der Mohrunger Flüchtlinge in der SBZ und den westlichen Besatzungszonen


Ein großer Teil der Flüchtlinge aus dem Kreis Mohrungen gelangte noch vor Kriegsende nach Deutschland.
Die meisten Wagentrecks wurden in die westliche Reichshälfte, hauptsächlich in das heutige Schleswig-Holstein und Niedersachsen, geleitet.
Dort wurden die Flüchtlinge von zentralen Städten aus auf kleine Landgemeinden verteilt .

Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden die Menschen aus dem Kreis Mohrungen aus ihrer Gemeinschaft gerissen. Sie befanden sich zwar zu diesem Zeitpunkt noch in unmittelbarer räumlicher Nähe, doch sollten sie von dort aus weiter auf Deutschland verteilt werden.

Ähnlich erging es den Flüchtlingen, die mit dem Zug Ostpreußen verlassen konnten.
Sie wurden zum größten Teil in der späteren SBZ untergebracht, denn die wenigsten Züge fuhren zu diesem Zeitpunkt noch in die westliche Reichshälfte.

Die Evakuierten über die Ostsee wurden entsprechend ihres Ankunftshafens untergebracht.
So gelangten viele Im folgenden Kapitel soll versucht werden die Ausmaße der Flucht und Vertreibung der ostpreußischen Bevölkerung, insbesondere aus dem Kreis Mohrungen, in Daten und Fakten zu fassen.
Beim Studium der Zahlen sollten aber nie die Einzelschicksale der Menschen vergessen werden – die Gefahr, die Zahlen als anonyme Menge zu betrachten, wurde durch die Schilderung der Schicksale in den vorangegangenen Kapitel vermieden.

Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten 2.488.000 Menschen in Ostpreußen. Durch den Geburtenüberschuss der Jahre 1939 bis 1945 kommen noch einmal 121.000 Personen hinzu.

Damit würde sich für Kriegsende eine Bevölkerungszahl von 2.609.000 Einwohner ergeben, hierbei sind die Kriegsverluste nicht miteingerechnet.

Ende 1944 lebten in Ostpreußen nach vorsichtigen Schätzungen 2,35 Mio. Menschen.
Bereits im Herbst 1944 sind ca. 500.000 Menschen abgewandert oder evakuiert worden.
Von Januar 1945 an sind in etwa 250.000 Flüchtlinge über den Landweg (Eisenbahn oder Treck) nach Westen gelangt.
Weitere 450.000 Menschen gelangten über das zugefrorene Haff in den Raum Danzig/Pommern.
Von Pillau aus flüchteten 200.000 Ostpreußen über die Frische Nehrung ebenfalls in denFlüchtlinge in das heutige Mecklenburg-Vorpommern und nach Schleswig-Holstein.
Eine große Anzahl wurde auch nach Dänemark evakuiert und dort in Lagern untergebracht. Viele Menschen blieben hier bis Ende der 40er Jahre interniert, bis sie in die Bundesrepublik oder die Deutsche Demokratische Republik ausreisen durften.

Das ganze System der Unterbringung der Flüchtlinge war in der Endphase des Deutschen Reiches sehr improvisiert. Der zerfallende Staats- und Parteiapparat konnte diese Aufgabe nur mit größten Schwierigkeiten lösen.

Die Vertreibung der Ostpreußen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam in ihrem Ausmaß für die neuen deutschen Behörden überraschend. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten mit der Bewältigung der großen Menschenmassen verlief die Unterbringung der Vertriebenen unproblematischer als noch vor Kriegsende.

Die erste Station für die unzähligen Vertriebenentransporte im Spätherbst 1945 war Berlin. Im Umkreis der Viersektorenstadt wurden die Menschen in zahlreichen Lagern untergebracht. Die Bedingungen, wie im Lager Luckenwalde, müssen schlecht gewesen sein.
Zu wenige Ärzte konnten sich um die kranken und schwachen Menschen kümmern.

So starben bereits kurz nach der Vertreibung Tausende Menschen in den deutschen Lagern.

Von Berlin aus wurden die Menschen in alle vier Besatzungszonen Deutschlands weitergeleitet.

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1949 mussten noch zahlreiche Spätvertriebene, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in die Gesellschaft integriert werden.

Die Einreise in die beiden Staaten erfolgte auch hier über zentrale Lager wie das niedersächsische Friedland. Der Aufenthalt war hier in den meisten Fällen nicht sehr lange. Die Neuankömmlinge wurden nach Möglichkeit zu Verwandten, in die zu diesem Zeitpunkt 10 Bundesländer, verschickt. Hier wurde die Unterbringung regional geregelt.

Der Verbleib der ehemaligen Einwohner des Kreises Mohrungen ist sehr schwer zu rekonstruieren. Der Verteiler der Mohrunger Heimatnachrichten gibt über den jetzigen Verbleib der ehemaligen Flüchtlinge und Vertriebenen Auskunft.

Hieraus kann man in vielen Fällen auf die unmittelbare Unterbringung nach der Vertreibung schließen, da die meisten Menschen in dieser Region wohnen geblieben sind.
Die ehemalige Gemeinschaft der Menschen aus dem Kreis Mohrungen ist heute über ganz Deutschland verteilt, einige finden sich sogar bis in die entlegensten Winkel der Welt – vertrieben, auseinandergerissen und dennoch vereint durch ihr gemeinsames Schicksal.

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11.1. Die Bilanz der Flucht und Vertreibung


Im folgenden Kapitel soll versucht werden die Ausmaße der Flucht und Vertreibung der ostpreußischen Bevölkerung,196 insbesondere aus dem Kreis Mohrungen, in Daten und Fakten zu fassen. Beim Studium der Zahlen sollten aber nie die Einzelschicksale der Menschen vergessen werden – die Gefahr, die Zahlen als anonyme Menge zu betrachten, wurde durch die Schilderung der Schicksale in den vorangegangenen Kapitel vermieden.

Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten 2.488.000 Menschen in Ostpreußen. Durch den Geburtenüberschuss der Jahre 1939 bis 1945 kommen noch einmal 121.000 Personen hinzu. Damit würde sich für Kriegsende eine Bevölkerungszahl von 2.609.000 Einwohner ergeben, hierbei sind die Kriegsverluste nicht miteingerechnet.

Ende 1944 lebten in Ostpreußen nach vorsichtigen Schätzungen 2,35 Mio. Menschen198. Bereits im Herbst 1944 sind ca. 500.000 Menschen abgewandert oder evakuiert worden.
Von Januar 1945 an sind in etwa 250.000 Flüchtlinge über den Landweg (Eisenbahn oder Treck) nach Westen gelangt. Weitere 450.000 Menschen gelangten über das zugefrorene Haff in den Raum Danzig/Pommern. Von Pillau aus flüchteten 200.000 Ostpreußen über die Frische Nehrung ebenfalls in den Raum Danzig/Pommern.

Einen wichtigen Anteil bei der Evakuierung hatte die Deutsche Kriegsmarine, welche die Flüchtlinge über den Seeweg evakuierte. Aus der Hafenstadt Pillau wurden 450.000 Menschen nach Dänemark und Norddeutschland evakuiert.

Somit konnten nach vorsichtigen Schätzungen 1,85 Mio. Menschen aus Ostpreußen fliehen, so dass 500.000 Deutsche den Sowjets in die Hände fielen. 1950 lebten noch ca. 160.00 Deutsche in Ostpreußen,201 von denen aber der größte Teil im nächsten Jahrzehnt ausreisen konnte.
In den letzten Jahren lebten aber immer noch einige tausend Deutsche in Ostpreußen, die nicht vertrieben, sondern polnisiert wurden (vgl. 8.3.).
Die Zahl der Opfer, die Ostpreußen zu beklagen hat, ist unverstellbar groß. Die Gesamtzahl der mittel- und unmittelbaren Kriegsopfer beläuft sich in Ostpreußen auf 511.200 Personen. Die Anzahl der zivilen Opfer liegt bei 311.200 Menschen.202
Damit sind 20,7 % - jeder fünfte Einwohner – der ostpreußischen Bevölkerung durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges ums Leben gekommen.
Die Bilanz im Kreis Mohrungen sieht ähnlich erschreckend aus.
Von den 1939 gezählten 56.255 Einwohnern des Kreises gelten 4.041 Soldaten als vermisst oder gefallen. 3.484 Zivilisten sind in der Folge der Kampfhandlungen im Kreise und der Flucht und Vertreibung ums Leben gekommen.

Insgesamt wählten 116 Menschen den Freitod.
Die Gesamtopferzahl beläuft sich für den Kreis Mohrungen damit auf 7.641 Personen – das sind 13,6 % der Gesamtbevölkerung.


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11.2. Der politische Hintergrund der Vertreibung – Die Konferenz von Potsdam


Der Problematik der Besetzung der ehemaligen deutschen Ostgebiete könnte ein ganzes Buch gewidmet werden. In diesem Kapitel soll nur kurz auf die Verknüpfung des Leidens der ostdeutschen Bevölkerung mit den alliierten Beschlüssen hingewiesen werden.
Bereits während des Krieges wurden wichtigen Vorentscheidungen für die Vertreibung der deutschen Bevölkerung beschlossen.
Eng verbunden mit der Frage der deutschen Ostgebiete war der sowjetische Wille, das im Hitler-Stalin-Pakt 1939 einverleibte Ostpolen zu annektieren. Hiermit verband sich automatisch die Frage nach einer Westverschiebung Polens.

Beim Treffen der „großen Drei“204 in Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) waren die Nachkriegsgrenzen Polens und Deutschlands kritische Gesprächspunkte. Roosevelt forderte Volksent-scheide in den umstrittenen Gebieten, wie Litauen und Ostpolen, dies lehnte Stalin aber vehement ab

Die Idee der Vertreibung der deutschen Bevölkerung war keine rein sowjetische Erfindung. Vermutlich beeinflusst durch die in Großbritannien weilende polnische und tschechoslowakische Exilregierung formulierte Churchill seine Einstellung zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung auf einer Unterhausrede am 15. Dezember 1944 wie folgt:

„Die nach unseren Ermessen befriedigendste und dauerhafteste Methode ist die Vertreibung. Sie wird die Vermischung von Bevölkerungen abschaffen, die zu endlosen Schwierigkeiten führt. Man wird reinen Tisch machen.“206
Zu dieser Zeit machte man sich noch keine Vorstellung, wie diese Umsiedlung zu bewerkstelligen sei. Churchill glaubte noch in Jalta, dass eine Umsiedlung von sechs Millionen Menschen realisierbar sei.

Die wichtigsten Vorentscheidungen wurden auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) beschlossen. In der Zwischenzeit wurde die sowjetische Idee der Westverschiebung Polens salonfähig. Am 6. Februar fiel auf der Konferenz die Entscheidung, die Curzon Linie als neue polnische Ostgrenze festzulegen.

In der Frage der polnischen Westgrenze bestand noch keine Einigkeit, der Beschluss, die Deutschen aus den betroffenen Gebieten in das „Restreich“ umzusiedeln wurde aber schon gefasst.

Ein Konsens bestand bereits über die Aufteilung Ostpreußens zwischen Polen und der Sowjetunion. Uneinigkeit gab es zwischen den Konferenzteilnehmern noch bei der Frage zur neuen deutschen Ostgrenze. Hier wurde die Frage nach einer deutsch-polnischen Oder-Grenze oder einer Oder-Neiße-Linie kontrovers diskutiert. Die endgültige Klärung der Grenzfrage wurde auf eine spätere Friedenskonferenz verschoben.

In Jalta wurde neben der Grenzfrage eine weitere schwerwiegende Entscheidung getroffen. In der Reparationsfrage einigte man sich auf den Terminus „Reparations in kind“ (Kriegentschädigungen in Leistungen), hierbei waren sich Stalin, Roosevelt und Churchill einig, dass es sich auch um Dienstleistungen handeln würde – damit wurde die Verschleppung hunderttausender Deutsche in die Sowjetunion zu Zwangsarbeiten formell gebilligt.

Mit dem Waffenstillstand vom 8. Mai 1945 wurde eine Neuordnung des besiegten Deutschen Reiches notwendig. Vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 trafen sich die drei Siegermächte Vereinigte Staaten von Amerika, Großbritannien und Sowjetunion im Cecilienhof in Potsdam.
Auf dieser Konferenz sollten auch die schon in Teheran und Jalta angesprochenen Punkte zur Frage der Westverschiebung Polens geklärt werden.
Churchill und der neue US-Präsident Harry S. Truman sprachen sich gegen eine Ausdehnung Polens westlich der Oder aus, wurden aber abermals von Stalins Argument, es befänden sich dort kaum Deutsche, überredet.

Die zu Konsultationen herangezogene polnische Regierung gab immerhin 1,5 Mio. verbliebene Menschen in den besetzten deutschen Ostgebieten zu, die aber alle ausreisewillig wären und nur noch bis zur Einbringung der Ernte dort verweilen würden (nach vorsichtigen Schätzungen des Alliierten Kontrollrates befanden sich aber noch mehr als 3,5 Mio. Menschen in den Gebieten östlich der Oder-Neiße Linie).213 Die Westalliierten stimmten trotz ihrer Bedenken der Umsiedlung zu.

Der für die Vertreibung der deutschen Bevölkerung östlich der Oder-Neiße-Linie relevante Artikel XIII. des Potsdamer Protokolls lautet wie folgt:
„Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, dass die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss.

Sie stimmen darin überein, dass jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll."

Der Verlauf und die Umstände der Vertreibung durch die polnische Verwaltung sind in Kapitel 8.2. deutlich beschrieben worden – von ordnungsgemäßer und humaner Weise kann hier in keiner Weise die Rede sein. Auch die Durchführung durch die polnischen Verantwortlichen wurde nicht vertragsgemäß geleistet.
In Absatz zwei und drei des Artikels XIII. heißt es, dass nur der Alliierte Kontrollrat bestimmen sollte, wann und wo wie viele Deutsche umgesiedelt werden sollten.
Nachdem die Potsdamer Konferenz die neue polnische Verwaltung in den ehemaligen deutschen Ostgebieten akzeptierte, wurde per Dekret am 13. November 1945 die polnische Rechtsordnung auf die neuen Gebiete ausgedehnt.
Zeitgleich wurden einige hunderttausend Menschen unter dem nun eingeführten polnischen Recht aus ihrer ostpreußischen Heimat vertrieben.


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12. Resümee


Das hier dokumentierte Schicksal des ehemaligen Kreises Mohrungen steht stellvertretend für unzählige weitere Kreise in Ostpreußen, Pommern, Schlesien oder dem Sudetenland.

In fast allen Fällen wurden die Menschen durch das menschenverachtende, nationalsozialistische Regime im Stich gelassen. Zu spät wurden sie vor den näherrückenden sowjetische Truppen evakuiert – der Tod Hunderttausender wäre so vermeidbar gewesen, doch die Erhaltung von Menschenleben war nie das Ziel der Nationalsozialisten.

Die Rücksichtslosigkeit und Brutalität der Nationalsozialisten und ihrer Helfer in Militär und Wirtschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Geschichte von 1933 bis zum Kriegsende 1945.
Zuerst ermordeten sie in Deutschland Andersdenkende, Kritiker und Juden, dann wurde ganz Europa mit einem schrecklichen Krieg überzogen, der in jedem Land unzählige Opfer forderte. Auf dem Gipfel des Mordens wurden industriell ganze Bevölkerungsgruppen verschleppt und ermordet.
Erst mit dem Rückzug der Wehrmacht kam das Kriegsleiden zurück nach Deutschland. Auf ähnlich brutale Art wie SS, Waffen-SS, Polizeieinheiten und manche Wehrmachtseinheit in Polen und der UdSSR gingen die sowjetischen Truppen nun mit der deutschen Bevölkerung im Osten Deutschlands um.
Die Zivilisten in den östlichen Provinzen des Reiches waren genauso Opfer wie alle anderen geschändeten und ermordeten Menschen in ganz Europa – sie haben Verwandte, Freunde und ihre Heimat verloren, obwohl die wenigsten von ihnen selbst einem Menschen Leid zugefügt haben.

Nach der Flucht vor der sowjetischen Armee und den Gewalttaten der Sowjets an der deutschen Bevölkerung setzte ein weiteres schlimmes Kapitel in der Geschichte der Ostdeutschen ein: Die Vertreibung.

Die Westalliierten stimmten den sowjetischen und polnischen Plänen zur Umsiedlung der deutschen Bevölkerung zu. War dies im Falle Churchills die Überzeugung man könne so „den Keim weiterer Kriege ersticken“, so war es auf Seiten der Amerikaner eine totale Fehleinschätzung der Lage in dem sowjetisch besetzten Teil Ostdeutschlands.

Obwohl die Fronten auf der Potsdamer Konferenz zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion schon sehr verhärtet waren, schenkte man Stalin Glauben, dass die meisten Ostdeutschen entweder tot oder bereits geflohen waren.

Diese folgenschwere Entscheidung hatte dann ab Sommer 1945 die Vertreibung mehrerer Millionen Ostdeutscher zur Folge. Bei den wilden Vertreibungen bis Ende 1945 kam es dann durch mangelnde Organisation, aber auch durch bewusstes Unterlassen von Versorgung jeglicher Art durch die polnische Verwaltung zu mehreren zehntausend Toten.

Ein weiteres großes Unrecht war die Verschleppung vieler Menschen in die Sowjetunion. Durch einen bewusst ungenau formulierten Passus des Potsdamer Protokolls wurde die Einforderung von Reparationen durch menschliche Arbeitskraft legalisiert. Auf diese Weise gelangten zehntausende Zivilisten, meist junge Frauen, nach Sibirien und wurden dort unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit eingesetzt. Die letzten dieser Verschleppten kamen erst 10 Jahre nach Ende des Krieges zurück – die Hälfte der deutschen Zwangsarbeiter ließ ihr Leben in der Gefangenschaft.

Für den heutigen Leser erscheint das oben beschriebene Leiden der Menschen fern und unwirklich. Im Zusammenhang mit Vergewaltigungen und „ethnischen Säuberungen“ verbindet man heute fast nur noch die schreckliche Erlebnisse im ehemaligen Jugoslawien oder in Zentralafrika (Ruanda und Zaire) – die Geschehnisse in unserem eigenen Land in den Jahren 1939 bis 1946 scheinen aus dem kollektiven Gedächtnis fast gänzlich verschwunden zu sein.
Doch wie kann man der jungen Bevölkerung die Schrecken des Krieges am besten beschreiben, um sie davor zu schützen, nie wieder einen Krieg miterleben zu müssen?
Am sinnvollsten erscheint hier die Darstellung der Erlebnisse der eigenen Vorfahren und Mitmenschen, deren Erfahrungen gerade einmal ein halbes Jahrhundert alt sind.
Doch in den letzten drei Jahrzehnten reduziert sich merklich die Anzahl von Neuerscheinungen, die sich mit der Problematik der Flucht und Vertreibung im und nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen.
Sicherlich ist in den 50er und 60er Jahren eine große Anzahl von Werken publiziert worden, doch durch die Öffnung der osteuropäischen Archive und der damit verbundenen Fülle neuer Information ist eine Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte der deutschen Bevölkerung aus dem Osten nötig geworden.
Die Verarbeitung dieses Bereiches soll möglichst sachlich und frei von Emotionen, die sicherlich durch die Verlust der Heimat und zahlreicher Angehöriger begründet war, vonstatten gehen.

Das Ziel dieser Bestrebung in einem, in absehbarer Zeit, politisch, kulturell und wirtschaftlich vereinten Ost- und Westeuropa kann nur durch ein Miteinander und nicht durch gegenseitiges Aufzählen von Untaten erreicht werden. Hierbei darf aber auch das Leiden der Menschen nicht vergessen werden, schließlich war ihr Tod auf beiden Seiten in jeder Hinsicht sinnlos.

Vergeben, aber nicht Vergessen – so sollte die richtige Schlussfolgerung lauten, denn nur durch ein Vergeben kann auf beiden Seiten die Hand zu einem friedlichen Miteinander gereicht werden – und nur durch ein ständiges Erinnern an das schlimme Geschehen können neuerliche Grausamkeiten vermieden werden.


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15. Anhang-Verteilung der Mohrunger Flüchtlinge und Vertriebenen

 

Der Verbleib aller Mohrunger Flüchtlinge und Vertriebenen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ist heute kaum mehr zu rekonstruieren.
Hilfestellung bietet die Versandliste der „Mohrunger Heimatkreisnachrichten“, dem internen Printmedium der Kreisge- meinschaft Mohrungen.
Diese kann bei der Rekonstruktion des Verbleibes sehr aufschlussreich sein.
Wie schon in den vorausgegangen Kapiteln beschrieben, sind die meisten Flüchtlinge aus dem Kreisgebiet in Norddeutschland untergekommen.
Im Verlauf der nach dem Kriegsende anlaufenden Vertreibung durch die Polen gelangten viele Mohrunger aber auch in andere Gebiete Deutschlands.
Einige regionale Verschiebungen durch spätere Umzüge sind aber einzubeziehen, doch bewegt sich diese Fehlerkorrektur im zu vernachlässigenden Bereich.

Auf Grund der Auswanderung einiger ehemaliger Bewohner des Kreises befinden sich auch europäische und außereuropäische Länder auf der Verteilerliste.
Diese erfasst natürlich nicht alle ehemaligen Bewohner des Kreises Mohrungen, da nicht alle die MHN beziehen. Der Prozentsatz der noch lebenden Kreisbewohner, welche die MHN beziehen, liegt aber sehr hoch.

Die heutige Anzahl von ca. 4.000 Beziehern der Heimatnachrichten ist nur noch ein kleiner Bruchteil der einst aus dem Kreis Mohrungen vertriebenen Menschen.

Im Laufe eines halben Jahrhunderts ist der größte Teil der überlebenden Flüchtlinge und Vertriebenen inzwischen verstorben.

Die Verteilerliste verwendet das Postleitzahlenverzeichnis der Deutschen Post und ist damit nicht in allen Fällen deckungsgleich mit den Grenzen der Bundesländer.

Stand 31.12.1999 (Quelle Kreisgemeinschaft Mohrungen)
Bundesrepublik Deutschland:
Berlin/Potsdam 2,75 %
Baden-Württemberg 4,21 %
Brandenburg 0,79 %
Mecklenburg-Vorpommern 6,47 %
Sachsen 1,85 %
Sachsen-Anhalt 2,45 %
Thüringen 1,45 %
Schleswig-Holstein, Hamburg,
Bremen, nördliches Niedersachsen 24,44 %
Südliches Niedersachsen 13,99 %
Nordrhein-Westfalen 26,50 %
Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland 6,24 %
Oberbayern 2,24 %
Niederbayern/Franken 2,81 %
II. Polen (Deutschstämmige) 1,86 %
III. Sonstiges Ausland 1,95 %
164 Bezieher der MHN befinden sich im Ausland.
Argentinien (1), Australien (9), Belgien (1), Großbritannien (10), Dänemark (3), Frankreich (2), Israel (2), Italien (2), Kanada (33), Namibia (1), Niederlande (3), Norwegen (1), Österreich (10),


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Fluchtwege der Zivilbevölkerung nach der Januaroffensive der Roten Armee


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