Geschichte der Stadt Liebstadt
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Liebstadt, ehemalige königliche
Immediatstadt, liegt im preußischen Oberland an der Liebe, einem
Zufluß der Passarge, vierzehn Kilometer Luftlinie nordöstlich von Mohrungen.
Der Ort wird schon 1314 in einer Urkunde erwähnt, doch ist das historische
Gründungsjahr unbekannt. Der Ordensritter Heinrich v. Liebenzell soll
ihn gegründet haben. Ihr Name, der sie als eine "liebe Stadt"
bezeichnet, muß jedem freundlich entgegenleuchten. Der Sage nach erlegte
hier einst der Ritter Liebenzell auf der Jagd in dem waldreichen Gebiet
einen starken Hirsch und rief aus: "Das ist ja eine liebe Stätte."
Er erbaute darauf die im Norden der Stadt gelegene Burg (Schloß),
die zum Komtureibezirk EIbing gehörte, und von der noch Überreste
in dem "Salzmagazin" auf der alten Stadtmauer vorhanden sind.
Daher sieht man auch als Wappen der Stadt in einen Stempel des 14. Jahrhunderts
einen nach links gewandten Hirsch, der nach einem am Schildrande angebrachten
Deutsch-Ordens-Kreuz blickt; vor den Vorderläufen des Hirsches schwebt
eine Blume und über dem Hirsch eine zweite. Auf dem neuen Siegel ist
der Hirsch schreitend dargestellt; Kreuz und Blumen fehlen.
Aus dem Schloß soll zur Ritterzeit ein unterirdischer Gang nach dem
Mohrunger Schloß geführt haben. Ältere Leute wissen noch
zu berichten, daß beherzte Jungen in einen tiefen Schacht des "Salzmagazins"
stiegen, aber nicht weiter vordringen konnten, weil der Gang verschüttet
war.
Die Stadt hat vormals reiche Bürger gehabt; sie ist mit Wällen,
Wassergräben und Zugbrücken umgeben gewesen. Die mittelalterliche
Befestigung ist teilweise noch erhalten. Reste der Stadtmauer findet man
in den vier Mauerstraßen und neben der Kirche.
Die älteste vorhandene Handfeste auf Pergament wurde der Stadt 1490
von dem Hochmeister Hans v. Tiefen ausgestellt - oder eigentlich nur erneuert,
weil die vorhandenen Handfesten und Privilegien in dem großen Brande
von 1414 verloren gegangen waren.
Herzog Albrechtvon Preußen schenkte der Stadt im 16. Jahrhundert (20.
12. 1548?) das damals wüste Gut "Ritters".
1625 raffte die Pest in vier Monaten mehr als 1000 Menschen dahin. Noch
in demselben Jahrhundert wurde die bis zur Hälfte entvölkerte
Stadt von den Schweden belagert (Schwedenschanzen bei Reichwalde und Waltersdorf)
und vollständig eingeäschert (20. 3. 1659).
Nachdem Liebstadt am 18. 8. 1750 das Brau-Privilegium erhalten hatte, blühten
HandeI und Industrie immer mehr auf, besonders aber später im 19. Jahrhundert,
weil das Städtchen an dem großen Handelswege vom reichen Ermland
nach der Bahnstation Schlobitten lag.
Leider haben große Brände den vorwärtsstrebenden Ort fast
alljährlich in seinem Bestande ernst gefährdet. - "Dreimal
aber ist die Stadt mit Kirchen und Schulen ganz ausgebrannt worden",
so 1414 von den Polen, 1659 von den Schweden und 1807 von den Franzosen.
Während des unglücklichen Krieges 1807 waren hier fast dauernd
feindliche Truppen einquartiert. In der Nacht vor dem Abmarsch der französischen
Truppen zur Schlacht bei Pr. Eylau wurde die Stadt zur Strafe für einen
angeblich verübten Verrat planmäßig geplündert. Auf
dem Rückmarsch von Pr. Eylau nach Osterode hielt sich der Kaiser Napoleon
zwei Tage in Liebstadt auf. Ihm folgte der Marschall Soult, dessen Armee
sich auf der städtischen Feldmark zwischen Karneyen und Achthuben verschanzte
und ein Lager aufschlug. Am 20. 4. 1807 wurde an der Vorpostenkette bei
Liebstadt über die Brücke bei Pittehnen der preußische General
Blücher (im Austausch gegen den französischen Marschall Vietor
Perrin) aus französischer Gefangenschaft entlassen.
Am 6. März 1807 geriet eine Wachtstube an der Töpferbrücke
in Brand; sie wurde, wie ein Augenzeuge versichert, absichtlich angezündet.
Da gerade ein heftiger Sturm wütete, war bald die ganze Stadt in ein
Flammenmeer verwandelt. Es wurden siebzehn öffentliche Gebäude,
darunter Kirche und Rathaus, vollständig zerstört, ferner einhundertfünfundsechzig
Wohnhäuser, vier Brau- und Brandhäuser und zweihunderteinundvierzig
Scheunen und Schuppen. Nur die Mühle, die "Neue Sorge" und
einige Häuser auf dem "Haberberg" blieben verschont (darunter
das sogenannte "Rote Strümpfchen", das ehemalige Zöllnerhaus
an der Außenseite der fünf Meter hohen Stadtmauer am Wormditter
Tor, das später aus Anlaß der Straßen-verbreiterung wegen
Baufälligkeit abgebrochen wurde, wodurch die mittelalterliche Stadtmauer
in voller Wucht und alter Schönheit hervortrat, leider aber wieder
durch einen aus Gründen der Denkmalspflege tief bedauerlichen Stallbau
größtenteils verdeckt wurde). Eine schreckliche Hungersnot griff
um sieh. Das Jahr 1809 brachte noch eine schwere Mißernte durch Hagelschlag,
und 1812 wurde die im Aufbau begriffene Stadt bei dem Durchzuge der Franzosen
wieder sehr ruiniert.
Die Einwohner waren wirtschaftlich "so geschwächt, daß sie
sich noch Jahre danach von Kräutern nährten und vom Staate etwas
Getreide und Mehl erhielten, welches sie später bezahlen mußten."
1820 wurde mit dem Bau des Rathauses begonnen, und 1827 das große
Schulgebäude angekauft. Obgleich die Cholera 1831 und 1848 Hunderte
dahinraffte, stieg die Einwohnerzahl schon 1852 auf über 2000. Als
sich 1868 derTyphus verheerend ausbreitete, wurde das große Schulhaus
zum Lazarett eingerichtet.
Wohlstand und Verkehr gingen seit Eröffnung der Thorn-Insterburger
Bahn sehr zurück; denn der Handelsweg des reichen Ermlandes, der sich
früher durch Liebstadt zog, wurde nun nach der anderen Seite abgelenkt.
Daran änderte auch der am 1. 8. 1894 vollendete Ausbau der Nebenbahn
Wormditt-Liebstadt-Mohrungen nur sehr wenig. Die schlechte wirtschaftliche
Lage und der "nur sehr mittelmäßige Wohlstand der Bürgerschaft"
haben die Entwicklung des Städtchens, das bis 1911 ohne Gaswerk war,
auch bis zum Ausbruch des Weltkrieges 1914/ 1918 dauernd gehemmt.
Vom Russeneinfall blieb Liebstadt verschont; doch hatten russische Vorposten
die Tore der Stadt erreicht (Ritters, 3 km). In den Jahren des 1.WeItkrieges
sind 185 Söhne und Väter des Kirchspieles, das 4400 Einwohner
zählt, bei der Verteidigung der Heimat gestorben. Ihr Andenken ehrt
das an der Stelle des früheren Oberteiches aus Granitsteinen der Heimat
erbaute Kriegerdenkmal. Die Stadt hat nach dem Weltkriege kulturell größere
Fortschritte gemacht: 1919 /20 entstanden das Wasserwerk und die Siedlungskolonie;
so dann wurden die Hauptstraßenzüge neu gepflastert und 1924
die Elektrifizierung der Stadt durchgeführt.
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Ein Gang durch die Stadt |
Vom Eisenbahnzuge aus gesehen hat der Beschauer einen landschaftlich schönen
Blick auf die aus dem Liebetal aufsteigende Stadt. Die geballten Laubmassen
überragt der schöne Turm der alten Ordenskirche. Am Bahnhof befinden
sich das Umschaltwerk und die Sandsteinfabrik. Vorbei an der Gasanstalt
und dem neu erbauten Postgebäude gelangt man in die Vorstadt.
Von der hohen Steinbrücke, unter der die Liebe dahinrauscht, erblickt
man als malerisches Motiv die Stadt. An dem "Grünen Krugberg"
liegt das alte "Hotel Adler". Vor dem Hotel hatten im Jahre 1913
der Kriegerverein, die Feuerwehr und der Verein junger Schützen den
Platz als Erinnerungsplatz an die Befreiungskriege geweiht, eine Eiche gepflanzt
und einen Feldstein errichtet mit den Jahreszahlen: 1813-1913.
Einen schönen Anblick bietet der Marktplatz mit dem reich gegliederten
Rathaus und dem dahinterliegenden gotischen Turm der evangelischen Stadtkirche.
Den Giebel des Rathauses ziert das in Öl gemalte Wappen der Stadt,
der Hirsch; die drei großen Nischen zeigen Bilder aus der Geschichte
der Stadt.
Das "Park-Hotel" mit einem sieben Morgen großen terrassenartigen
Kurgarten bildet eine Sehenswürdigkeit. Unterhalb des Kurgartens war
der Mühlengrund mit dem angestauten Mühlenteich, der Liebesschlucht
und den weiten Anlagen der Koy-Mühle ein besonderes Idyll. Hier ist
der schönste Blick auf die noch gut erhaltene Stadtmauer und die Stadt.
Beim Aufstieg zur Stadt kommt man an dem alten, mit Rautenmustern gezierten
Rest der Ordensburg vorbei.
Vom Marktplatz geht man durch die Oberstraße zu dem Denkmals-Platz,
auf dem sich inmitten einer prachtvoll gewachsenen Anlage das Gefallenendenkmal
befindet, das einen besonderen Anziehungspunkt bildet.
Nach 1918 wurde der Oberteich zugeschüttet und dieser Platz hergerichtet.
Auf ihm stand ein aus rohen Feldsteinen hochgemauertes einfaches, aber geschmackvolles
Denkmal in Pyramidenform mit der Tafel Hindenburgs auf der Rückseite
und einem Sinnspruch auf der Vorderseite, gekrönt wurde das Denkmal
von einem aus Stein gehauenen Eisernen Kreuz.
Reizvoll sind hinter der Stadt die weiten Blicke über Täler, Seen
und Schluchten in das Oberland und über das Liebe- und Passargetal
in das Ermland, ins "Bischtum". Dem Besucher fällt die große
Anzahl von Storchnestern mitten in der Stadt auf, die mit ihren zahlreichen
Insassen, großer Nachzucht, wechselvolle Bilder bieten. Die Zahl hatte
sich 1933 bis auf sechs vermehrt.
Die Stadt besitzt ein Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerk, zwei Volksschulen,
eine private Knaben- und Mädchen-Realschule (VI-XIII), Amtsgericht,
drei Bankstellen, Molkerei, zwei Mühlen, eine Apotheke und zwei Drogerien.
Drei Ärzte und drei Rechtsanwälte wohnten in der Stadt. Sie hat
Autobusverbindung nach Pr. Holland und regelmäßigen Autoverkehr
zum Bahnhof. Das evangelische Gemeindehaus hat eine Warmwasserbadeanstalt.
Die Einwohnerzahl betrug im Jahre 1939 2742. Während der Tätigkeit
des letzten Bürgermeisters Kreuzer hat sich die Stadt zu einem tatkräftigen,
blühenden Gemeinwesen entwickelt, in dem auch die kulturellen Aufgaben
eifrigste Pflege fanden.
Infolge seiner hohen Lage führt Liebstadt die Bezeichnung "Luftkurort
des Oberlandes". Im Jahre 1933 startet das Segelflugzeug "Stadt
Liebstadt", dem bald durch den Luftfahrtverein weitere folgen, da günstiges
Fluggelände vorhanden ist.
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In der Umgebung |
Um das Stadtgelände und weiter hinaus bieten sich reizvolle, abwechslungsreiche
Spaziergänge. Durch die Mohrunger Vorstadt gelangt man am Wasserwerk
mit seinem Triebwasserkanal vorbei auf schöner Kunststraße nach
dem fünfhundert Morgen großen Mildensee (dem"See Milten").
Hier findet der Badegast herrliche Badegelegenheit und Erholung.
Die schön gelegene und vorzüglich ausgebaute Badeanstalt am Steilhang
mit Lagerwiese, vierzig Meter langem Seesteg, mit Sprungturm, Rutschbahnen,
Wassersportbelustigungen ist der Stolz der Stadt. Der Besuch aus weit entfernten
Ortschaften nahm von Jahr zu Jahr zu.
Ruderboote laden zur Wasserfahrt ein. Das Gelände um die Badeanstalt
und an den Ufern des Sees bildet ein neu angelegter und gut eingewachsener
Seepark.
Wundervoll ist der Blick von den Höhen auf die Buchten mit ihrem bunten
Wasservögelleben. Auf einem Hünengrabhügel steht ein gewaltiger
Findling, umgeben von einem germanischen Steinring, um den Fuß des
Hügels steht ebenfalls ein Steinring.
Auffallend ist der große Wildreichtum dieser von der reizvollen Passarge
und Liebe durchflossenen Wald geschmückten Gegend. Damwild tritt in
Rudeln bis zu sechzig Stück auf.
In der Nähe von Liebstadt, vorbei an der Koy-Mühle und dem Segelflugzeug-schuppen
kommt man auf dem Lindenweg am wildreichen Rosenauer Waldgelände zum
Stadtwald mit sauber gepflegten 'Wegen und herrlichen Tannenschluchten.
Auch hier finden sich schöne Blicke auf das Liebetal.
Vier Kilometer ab liegt das reizvolle Dorf Herzogswalde mit seinen malerischen
Motiven, das Heimatdorf des Malers Karl Kunz, eines Schülers von Professor
Fritz A. Pfuhle in Danzig und bekannten Mitarbeiters der "Elbinger
Zeitung". Hinter dem Dorf liegt der die ganze weite Gegend beherrschende
dunkel bewaldete Teufelsberg und durch die Chaussee getrennt der kahle brockenähnliche
Himmelsberg mit freier Sicht ringsum und äußerst reizvollem Blick
auf den Wuchsnig-See, den tiefsten' und schönsten See Ostpreußens,
mit einer Tiefe von 64 Metern. Seine hochsteigenden, mit Laub gemischten
Kulissenwälder, der Rundhalbinsel mit weitem, sandklarem Badestrand,
Buchten und dem klarsten Wasser machen ihn zu einem Juwel. Da der See ohne
Zufluß ist, staunt der Bootsfahrer über das saubere Wasser, das
der Sicht des Wassers im Königssee in den Alpen nahekommt und eine
interessante Seebodenflora sehen läßt.
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Von
den Baulichkeiten |
Von den Bau- und Kunstdenkmälern müssen außer den schon
genannten (Burg, Stadtmauer, Kriegerdenkmal) noch die beiden Kirchen besonders
hervorgehoben werden. Die zuletzt gebaute evangelische Kirche gehörte
zur katholischen Zeit dem Erzpriestertum Wormditt. Ein Pfarrer Ludowicus
wird schon 1320 genannt. Der Unterbau des Turmes ist in fünf Geschossen
sechsundzwanzig Meter hoch und aus Ziegeln in gotischem Verbande erbaut
und mit mannigfachen spitzbogigen, gekuppelten Blenden geschmückt.
Daran legt sich das Langhaus mit neuen, schlanken Spitzbogenfenstern (ohne
Strebepfeiler mit starken Wänden): 37,3 Meter lang i 15,3 Meter breit.
Nach Durchschreiten der profilierten, spitzbogigen Eingangstür befindet
man sich unter dem gerippten, achtteiligen Sternengewölbe der Turmhalle,
wo selbst die Heldengedenktafel mit den 147 Namen der Gefallenen der evangelischen
Gemeinde einen würdigen Platz gefunden hat. Der obere Teil des Turmes,
auf dem sich außer dem neuen prachtvollen Stahlgeläute noch eine
1821 von König Friedrich Wilhelm III. gestiftete historische Bronzeglocke
des alten Geläutes mit den Namen der Pfarrer, des Bürgermeisters
und Baumeisters befindet, ist durch eine Spindeltreppe von Backstein von
unten an zugänglich. Die flache Decke der in Hallenform erbauten Kirche
ruht auf zwölf hölzernen toskanischen Säulen. Im Innern herrscht
allgemein der Charakter des Neuklassizismus, bei den 1911 ausgeführten
Malereien der moderne Stil.
Die Kirche brannte 1807 auch ganz nieder und wurde erst 1823, der Turm schon
1821 mit Notdach (1911 in der letzten Form) wiederaufgebaut (42 Meter hoch).
Die katholische Kirche mit ihrem schönen schlanken Turm wurde 1866/69
im neugotischen Stil für die achthundert Seelen zählende katholische
Gemeinde erbaut. |
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