Als im Mai 1945 der zweite Weltkrieg zu Ende war, atmeten Sieger und
Besiegte erleichtert auf. Die Kampfspuren und Zerstörungen waren
überall sichtbar. Zu den vielen materiellen Schäden an Häusern,
Kirchen öffentl. Gebäuden und Einrichtungen, Straßen,
Strom und Wasser-Leitungen gab es viele unersetzbare menschliche Verluste.
Deutschland hatte etwa 3,5 Millionen gefallene Soldaten und viele Opfer
der Zivilbevölkerung zu beklagen.
Schon im ersten Nachkriegsjahr wurde bekannt, daß es etwa 12 Millionen
Flüchtlinge gegeben hat, die durch Feindeinwirkung von Haus und Hof,
ihrem angestammten Besitz in der Heimat, wie Pommern, Schlesien, West-
und Ostpreußen, Danzig oder dem Sudeten- und Memelland vertrieben
worden waren. Eine vorläufige Bleibe hatten sie in Dänemark
oder im Westen Deutschlands gefunden. Einige Flüchtlingstrecks waren
nur bis Mitteldeutschland gekommen. In jedem Fall wurden sie nur widerwillig
auf- aber nicht angenommen, weil die Thüringer, Sachsen, Mecklenburger
oder die Brandenburger ebenfalls bomben- bzw. kriegsgeschädigt waren
und dazu noch Sowjetische Truppen als Besatzungsmacht ertragen mußten.
Zu den schrecklichsten Folgen der Kriegswirren gehörten die vielen auseinander gerissenen Familien, die auf der Flucht verlorengegangenen Kinder, Verwandten oder Freunde. Um erste menschliche Kontakte wieder zu ermöglichen, hatte das DRK in allen größeren Städten Auskunftsstellen eingerichtet, in denen Suchlisten auslagen, die nach Provinzen, Reg.-Bezirken und Kreisen geordnet waren und in alphabetischer Reihenfolge die Namen der gesuchten Personen aufgelistet waren. Dazu gab es laufend monatliche Ergänzungen, so daß dieser noch heute existierende Suchdienst in zig-Tausend Fällen helfen, bei einer Familienzusammenführung mitwirken oder das Schicksal von vielen Soldaten und Zivilisten klären konnten. Der Verfasser hat durch das DRK 1946 ebenfalls seine Mutter wiedergefunden.
So konnten sich inden ersten Nachkriegsjahren viele Familien über
ein Zusammenfinden freuen, ehemalige Soldaten oder Schulkameraden ein
Wiedersehen verabreden und frühere Nachbarn mit alten Dorfbewohnern
ein kleines Gemeindetreffen veranstalten. Das genmeinsam erlittene Schicksal,
nämlich der Verlust der Heimat und ihre schlechte wirtschaftliche
Situation, hat sie alle zu einer Notgemeinschaft zusammengebracht.
Wann und wo es einst zur Gründung der Kreisgemeinschaft Mohrungen
gekommen war, ist mit nicht mehr in Erinnerung. Es muß in der Zeit
um 1949/50 gewesen sein, als politische Parteien, Sportverbände oder
sonstige Vereinigungen von den Siegermächten offiziell zugelassen
wurden, und die Bundesrepublik Deutschland ausgerufen worden war.
Zu den Landsleuten der ersten Stunde gehörte Kaufmann Karl-Heinz
Bader (Saalfeld), Bankangestellter Cornelius Berg (Mohrungen), Landwirt
Herbert Borrmann (Gerswalde), Gutsbesitzer Otto Freih. v. d. Goltz-Domhardt
(Gr. Bestendorf), Lehrer Gustav Heinr. Karau (Sonnenborn), Gutsbesitzer
Dipl.- Landwirt Günter Jeimke-Karge (Lodehnen), Landwirt Heinrich
Kattoll (Heinrichsdorf), Mühlenbesitzer und Kohlenhändler Reinhold
Kaufmann (Maldeuten), Justizbeamter Erich Przetak (Mohrungen), Justizangestellte
Frieda Rahn geb., Brede (Mohrungen), Satdtoberinspektor Willy Schilling
(Saalfeld), Molkereibesitzer Leopold Schmidt (Pollwitten), Gastwirt Herbert
Schramke (Gerswalde), Lehrer Wilhelm Schwesig (Wiese), Satdtsekretär
Friedrich Taube (Saalfeld), Zahnarzt Dr. Ernst Vogelsang (Mohrungen) und
Bankangestellter Anton Wagner (Mohrungen), um nur einige hier zu nennen.
Da die Idee für den Zusammenschluß der Heimatvertriebenen aus
dem ehemaligen Kreis Mohrungen von Reinhold Kaufmann stammte, übernahm
dieser auch den Vorsitz der neuen Gemeinschaft.
Die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Einwohner des ehem. Kreises
Mohrungen verteilten sich im ganzen Bundesgebiet. Der weitaus größte
Teil war im Ruhrgebiet ansässig geworden, das schon lange vor dem
1. Weltkrieg heimat- und arbeitslose Menschen angezogen hatte. Ein nicht
viel geringerer Teil hat im norddeutsche Raum versucht, einen neuen Anfang
zu machen. Kreisvertreter Reinhold Kaufmann (Maldeuten) hatte schnell
erkannt, daß für die weitere Aufbauarbeit eine Kreisdatei dringend
erforderlich sei. So wurde schon ab 1950 mit dem Aufbau einer solchen
begonnen, was Cornelius Berg (Mohrungen), der in Leer in Ostfriesland
lebte, mit viel Eifer besorgte. Der Anstoß zur Einrichtung eines
kleinen Archivs kam ebenfalls vom ersten Kreisvertreter. Am Anfang bestand
dieses Archiv nur aus einer Foto- und Dia-Sammlung, doch kamen bald andere
an die Heimat Ostpreußen erinnernde Gegenstände und Schriftstücke
ergänzend hinzu. Untergebracht waren diese Archivarien in der Wohnung
von Wilhelm Schwesig (Wiese), der zusammen mit seiner Familie in Visselhövede
wohnt.
Zum herausragenden Ereignis währen der Amtszeit von Kreisvertreter
Reinhold Kaufmann gehört die Auswahl einer geeigneten Partnerstadt,
was von der Landsmannschaft Ostpreußen in Hamburg, der Dachorganisation
für alle Ostpr. Kreisgemeinschaften, etwa 1952/53 angeregt worden
war. Der Kreisvertreten fand in der Universitätsstadt Gießen
ein offene Ohr für unser Anliegen. Bei einem großen Kreistreffen
am 12. Sept. 1954 übernahm die Stadt Gießen die Patenschaft
über Stadt und Landkreis Mohrungen in Ostpreußen und ließ
durch den damaligen Oberbürgermeister Dr. Lotz eine entsprechende
Partnerschafts-Urkunde überreichen.
In den ersten Jahren des Bestehens der Kreisgemeinschaft Mohrungen wurden
bei anderen großen Kreistagstreffen in Hamburg, Duisburg und Braunschweig
jeweils bis zu 1800 Teilnehmer gezählt. Dabei erhofften sich unsere
Landsleute nicht nur ein Wiedersehen mit Nachbarn, Schulfreunden oder
Verwandten, sondern sie erwarteten von den offiziellen Rednern bei diesen
Veranstaltungen auch Informationen über den LAG (Lastenausgleichs-Gesetze)
und Perspektiven für die nächste Zukunft. Trotz der seit 1950
bereits geltenden „Charta der Heimatvertriebenen“, in der
ausdrücklich ein Gewaltverzicht ausgesprochen worden war, schürten
fast alle Redner bei den aufmerksamen Zuhörern die fatale Hoffnung,
daß eine baldige Rückkehr in den alten Heimatkreis in Ostpreußen
möglich wird.
Im Herbst 1962 konnte Kreisvertreter Reinhold Kaufmann aus gesundheitlichen
Gründen seine Aufgaben nicht weiter wahrnehmen. Zu seinem Nachfolger
bestimmte er Otto Freih. v. d. Goltz-Domhardt (Kr. Bestendorf), der bemüht
war, „seinen Mohrungern“, wie er zu sagen pflegte, ein Vorbild
zu sein und neue Impulse zu geben. Er ordnete die Finanzen der Gemeinschaft
und rief einen Kreisausschuß ins Leben, der beratende und mitarbeitende
Funktionen übernahm. Zu seinem Stellvertreter ernannte er damals
Werner Jahr (Drenken)
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Während der Amtszeit von Otto Freih. v. d. Goltz-Domhardt wurde auch
das bekannte Buch „Der Kreis Mohrungen“, das im Göttinger
Arbeitskreis von Dr. Wolf Frh. von Wrangel zusammengestellt und 1967 im
Holzner-Verlag in Würzburg gedruckt worden war, herausgegeben. Leider
erwies sich die limitierte Auflage von nur 3000 Büchern als viel
zu gering, denn das Interesse unserer Landsleute an diesem recht guten
Heimatbuch war wesentlich größer.
Weil die Teilnehmerzahlen bei den Jährlich 1-2 mal stattfindenden
Kreistreffen merkbar zurückgingen, (und damit auch die finanzielle
Lage der Kreisgemeinschaft sich verschlechterte), machten einige Mitarbeiter
dem Kreisvertreter den Vorschlag, ein Informationsblatt oder eine kleine
Zeitung für unsere Landsleute herauszugeben. Der Kreisvertreter hielt
dieses Vorhaben für ein Risiko. Die Initiatoren, Hans Klein (Saalfeld),
Erich Przetak (Mohrungen) und der Verfasser dieser Zeilen hofften auf
das Interesse und die Spendenbereitschaft der Landsleute. Letzten Endes
ließ sich der schon von Krankheit gezeichnete Kreisvertreter zu
einer Vorfinanzierung in Höhe von DM 1.000,-- für die kleine
Zeitung überreden. Im Juni 1971 wurden etwa 300 Stück „Mohrunger
Heimatkreis-Nachrichten“ an vorliegende Anschriften per Post verschickt.
Und beim Heimatkreis-Treffen im Herbst 1971 in Braunschweig wurden bereits
800 MHN-Zeitungen per Hand an die Anwesenden verteilt. Bald nachdem unsere
Landsleute die ersten MHN in den Händen hatten, setzten auch die
Spenden-Überweisungen ein, die die Herausgabe der MHN bis auf den
heutigen Tag ermöglichten.
Ende 1973 gab Kreisvertreter Otto Freih. v. d. Goltz-Domhardt wegen seiner
angegriffenen Gesundheit den Vorsitz ab und ernannte seinen bisherigen
Stellvertreter Werner Jahr (Drenken) zu seinem Nachfolger. Weil der neue
Kreisvertreter noch mitten im Berufsleben stand, wählte er sich den
bereits im Ruhestand befindlichen Oberstleutnant Siegfried Kloß
(Vorwerk) zu seinem Stellvertreter. Zusätzlich zu beider Entlastung
wurde Hans-Wilhelm Buchholz (Saalfeld) zum Geschäftsführer der
Kreisgemeinschaft Mohrungen berufen. Damit bekam die Gemeinschaft zum
ersten Mal einen geschäftsführenden Vorstand, der sich wichtige
Ziele gesteckt hatte.
So richtete der neue Kreisvertreter sein Hauptaugenmerk auf die Verbesserung
der fast unterbrochenen Kontakte zur Patenstadt Gießen. In persönlichen
Verhandlungen mit dem damaligen OB Bernd Schneider konnte er erreichen,
daß uns die Kongreßhalle für unsere Kreistreffen künftig
kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Außerdem erwirkte er
bei der Patenstadt die technische und finanzielle Unterstützung beim
Postversand unserer inzwischen 2-3 mal jährlich erscheinenden MHN-Zeitung.Während
der Amtszeit von Kreisvertreter Werner Jahr wurde erstmals an eine Satzung
gedacht, in der die künftigen Ziele der Kreisgemeinschaft, Richtlinien,
Rechte und Pflichten der Mitglieder u.a.m. beschrieben werden sollten.
Seinerzeit wurden jährlich 2-3 Kreistreffen u.a. in Hannover, Bochum
und Gießen veranstaltet, die erfreulicherweise viele Teilnehmer
vereinigten.
Von allen diesen Aktivitäten waren die Landsleute aus dem ehem. Kreis
Mohrungen die bei Kriegsende in der sowjet. besetzten Zone, also in Mitteldeutschland,
Unterkunft und Arbeit fanden, ausgegrenzt. Die Regierung der DDR hatte
den Vertriebenen jeden Glauben an die alte Heimat untersagt und alle landsmännischen
Zusammenschlüsse verboten. Obwohl viele Anschriften der in der DDR
ansässigen Mohrunger unserer Kreisdatei vorlagen, Konnte dennoch
die MHN nicht nach „drüben“ geschickt werden.
Im Raum Berlin, der später zweigeteilten Stadt, hatte Frau Frieda
Rahn geb. Brede schon während der Amtszeit von Kreissprecher Reinhold
Kaufmann begonnen, Mohrunger Landsleute in einer Gruppe zusammenzufassen,
die sich regelmäßig im Westteil der Stadt traf. Nach dem Ableben
der sehr aktiven Heimatfreundin Frieda Rahn übernahm deren Tochter,
Frau Ursula Dronsek geb. Rahn, die Leitung der Berliner Gruppe.
Wegen beruflicher Überlastung und kleiner Meinungsverschiedenheiten
innerhalb der Kreisvertretung gab der im Amt kaum warmgewordene Werner
Jahr den Vorsitz im Frühjahr 1974 an seinen bisherigen Stellvertreter
Siegfried Kloß (Vorwerk) ab. Dieser führte die begonnenen Arbeiten
weiter und bereitete vor allem die 1. Kreistags-Wahl vor. Im Oktober 1976
wurde erstmals ein Mohrunger Kreistag, der aus 33 gewählten Mitgliedern
bestand, ins Leben gerufen. Dieses Gremium wählte dann aus seiner
Mitte Siegfried Kloß offiziell zum Kreissprecher. Zu dessen Stellvertreter
wurde Richard Kellmereit (Mohrungen) berufen. Der neue Kreissprecher wählte
zu seiner Unterstützung den in seiner Nähe wohnenden Gerhard
Katoll (Deunen) zum Geschäftsführer.
Während seiner Amtsführung konnte der Zusammenhalt der Kreisgemeinschaft
weiter gefestigt werden, wozu die jetzt regelmäßig zum Versandt
kommenden „Mohrunger Heimatkreis-Nachrichten“, in denen dem
Kreisvertreter eine persönliche Rubrik zur allgemeinen Information
über das Kreisgeschehen eingerichtet war, beigetragen haben.
Die im Kreisausschuß lange beratende Kreissatzung, die inzwischen
auch von einem Juristen überprüft worden war, wurde am 8. November
1975 in der Mitgliederversammlung beschlossen und am 1. Januar 1976 in
Kraft gesetzt. Der Vorsitzende der Kreisgemeinschaft war fortan der Kreissprecher.
Die bisherige Kreiskarteiverwalterin, Frau Helene Steinke (Mohrungen),
die schwer erkrankt war, wurde 1985 durch Frau Erika Jahr (Drenken) ersetzt.
In Zusammenarbeit mit Fritz Sankowski (Sorrehnen), der beruflich mit der
EDV gut Bescheid wußte, wurden erste EDV-Namenslisten erstellt und
bei unseren jährlichen Kreistreffen den dortigen Teilnehmern zur
Einsicht vorgelegt.
Weil Kreissprecher und Kreisausschuß in den abgelaufenen 5 Jahren
gute Arbeit geleistet hatten, wurden für die 1981 anstehende 2. Kreistags-Wahl
fast dieselben Kandidaten von unseren Mitgliedern in Vorschlag gebracht,
wie vor 5 Jahren. So kam es zu einer Neuauflage der bewährten Führungsmannschaft.
Siegfried Kloß wurde vom 2. Mohrunger Kreistag mit großer
Mehrheit wieder zum Kreissprecher auf weitere 5 Jahre gewählt. Er
selbst sah darin Bestätigung und Anerkennung seiner bisherigen Amtsführung.
Für die vor ihm liegende neue Legislaturperiode berief er Rolf Kallien
(Sadlauken), einen jüngeren dynamischen Geschäftsmann zu seinem
Stellvertreter. Mit Willy Binding (Himmelforth) als Schatzmeister, Gerhard
Katoll (Deunen) Als Geschäftsführer und Dr. Ernst Vogelsang
(Mohrungen) als Archivverwalter blieben 3 eingearbeitete Ausschußmitglieder
an seiner Seite.
Ein besonderes Ereignis für die Kreisgemeinschaft war die Eröffnung
des Mohrunger Kreisarchivs in der Patenstadt Gießen am 10. Oktober
1981 im dortigen Asterweg 9, die in Anwesenheit von OB Hans Görnert,
unserem Freund und Gönner, stattfand. Leider mußten wir die
zweckmäßigen Archivräume bald wieder räumen, weil
das Haus den Besitzer wechselte.
Der Initiative von Kreissprecher Siegfried Kloß verdanken wir die
großartige Dokumentation für die 108 Gemeinden und die 3 Städte
des alten Kreisgebietes. Unter seiner Amtsführung konnte das Patenschaftsverhältnis
zwischen der Kreisgemeinschaft Mohrungen und der Universitätsstadt
Gießen enger gestaltet werden. So hat er dafür gesorgt, daß
in Zusammenarbeit und gerechter Kostenteilung mit der Patenstadt in der
dortigen Wieseck-Aue ein „Mohrunger Mahnmal“ errichtet werden
konnte, das an die Kriegs- und Vertreibungsopfer des alten Heimatkreises
erinnert. Die feierliche Einweihung fand am 12. Mai 1985 statt. Von diesem
Kreisvertreter kam auch die Anregung, ein „Ehrenbuch des Kreises
Mohrungen“ zu schaffen, indem die Namen aller Opfer des letzten
Krieges aus dem Kreis Mohrungen festgeschrieben sind. Dieses Ehrenbuch
wird seit einiger Zeit in unserem Kreisarchiv in der Patenstadt Gießen
aufbewahrt.
Zu ergänzen bleibt noch, daß im Auftrag der Kreisgemeinschaft
Mohrungen auch ein Bildband mit dem Titel „Zwischen Narien und Geserich“
von Dr. Ernst Vogelsang und Willy Binding zusammengestellt wurde, der
viele alte Fotos enthält, die der inzwischen verstorbene Erich Przetak
in seinem Fotoarchiv gesammelt hatte. Der Bildband wurde von der früheren
Mohrunger Druckerei Gerhard Rautenberg, Leer (Ostfriesland) hergestellt
und ab 1982 in den Handel gebracht.
Als die 2. Legislaturperiode von Kreissprecher Siegfried Kloß zu
Ende ging, bereitete er die Wahl für den 3. Mohrunger Kreistag vor.
Er selbst wollte nach 12-jähriger Amtszeit, seit 1974, nicht mehr
den Vorsitz übernehmen und gerne einem Jüngeren die Führung
der Kreisgemeinschaft überlassen. So wählte der neu gebildete
3. Mohrunger Kreistag Rudi Kallien (Sadlauken) zum Kreissprecher. Der
machte sofort den Vorschlag, seinen Vorgänger Siegfried Kloß,
als stellvertr. Kreissprecher an seine Seite zu stellen, was die Zustimmung
aller Kreistagsmitglieder fand. Geschäftsführerin wurde Frau
Eduarda von Keber (Boyden), die in der Nähe vom neuen Kreissprecher
ansässig war, und auf eine gute Zusammenarbeit hoffen ließ.
Die anderen Ausschußmitglieder waren vom Kreistag in ihren Ämtern
bestätigt worden.
Kreissprecher Rudi Kallien hat eine ganze Reihe von Problemen lösen
können. So konnte er beim Amtsgericht in Gießen die lange erstrebte
Eintragung der Kreisgemeinschaft in das dortige Vereinsregister erreichen.
Damit war unsere mehr als 15-20 000 Mitglieder zählende Gemeinschaft
von ostpreußischen Schicksalsgefährten eingerichtlich anerkannter
„eingetragener Verein“ geworden. Seit dem Eintragungsdatum,
dem 28. Januar 1987, heißen wir „Kreisgemeinschaft Mohrungen
e. V.“. Dies war die Voraussetzung für die ebenfalls in Aussicht
genommene Anerkennung der Gemeinnützigkeit, die am 18. März
1987 erfolgte.
Nach mehreren Verhandlungen mit der Patenstadt konnte der junge Kreissprecher
die feste Zusage für einen Kreisarchiv-Raum im Alten Schloß,
Brandplatz 2 in Gießen, erwirken. Nach langer Einlagerung, in Kisten
verpackt, auf dem Dachboden des Gebäudes und in anderen Magazinen,
konnte eine erste Sichtung, Sortierung und Inventarisierung unserer Archiv-Gegenstände,
wie Bücher, Bilder, Urkunden, Akten usw. erfolgen. Um diese mühevollen
Arbeiten hatten sich nicht nur der neue Archivverwalter, Willi Dinter
(Wiese), sondern ganz besonders auch sein Vorgänger, Helmut Fleischmann
( Gr. Arnsdorf), verdient gemacht. Letzterer mußte sich leider aus
gesundheitlichen Gründen von der weiteren Mitarbeit zurückziehen.
Der etwas andere Führungsstil von Kreissprecher Rudi Kallien hatte
aber auch Kritiker hervorgebracht. Die Differenzen und Meinungsverschiedenheiten
im Kreisausschuß und seine starke berufliche inanspruchnahme veranlaßten
ihn den Vorsitz abzugeben. So bat er nach erst 3-jähriger Amtszeit
seinen Stellvertreter, Siegfried Kloß, die Weiterführung der
Kreisgemeinschaft eV. zu übernehmen.
Der so abermals an die Spitze berufene stellvertr. Kreissprecher Siegfried
Kloß brachte auch die 3. Legislaturperiode satzungsgemäß
zu Ende bereitete die 4. Kreistags-Wahl, die 1991 stattfand, vor. Auf
der konstituierenden Sitzung am 10. September 1991 wählte der 4.
Mohrunger Kreistag aus seinen Reihen die bis dato wenig oder gar nicht
in Erscheinung getretenen Landsleute Dr. Hans-Georg Wagner (MOhrungen)
zum Kreissprecher und Erwin Hentschel (Mohrungen) zu seinem Stellvertreter.
Der langjährige Schatzmeister Willy Binding (Himmelforth) wollte
nur noch für 1 Jahr sein Amt ausüber, und der Geschäftsführer
Werner Fleischer (Wiese) stellte sich auch nur noch für einjährige
Mitarbeit zur Verfügung. Ferner wurden in ihren Ämtern die KarteiverwalterinFrau
Erika Jahr (Drenken), die Leiterin der Berliner Gruppe, Frau Ursula Dronsek
geb. Rahn, und die beiden MHN-Redakteute Ekkehard Dekkert und Frau Elisabeth
Krahn geb. Przetak (beide Mohrungen) vom Kreistag bestätigt. Neu
hinzugewählt wurden Gerhard Janzen (Hoffnungsmühle) als Archivverwalter
und Thomas-Hans Dekkert (Mohrungen) als Judendobmann. Zu Kassenprüfern
ernannte dieser Kreistag Paul Baginski (Saalfeld) und Erich Klein (Herzogswalde).
Als neue Führungsspitze ihre Arbeit für die Kreisgemeinschaft
kaum übernommen hatte, griff überraschender Weise das Amtsgericht
Gießen mit der Begründung ein, daß die geltende Wahlordnung
sowie Verarbeitung und Durchführung der 4. Kreistags-Wahl nicht im
Sinne der vorliegenden Satzung erfolgt seien. Das Gericht in der Patenstadt
ordnete eine Wahlwiederholung an. Das Desaster war perfekt, denn so etwas
hatte es seit Bestehen der Kreisgemeinschaft noch nicht gegeben!
Vorübergehend war also wieder der alte 3. Mohrunger Kreistag zum
Handeln aufgerufen. Weil sich aber Siegfried Kloß aus Altersgründen
endgültig zurückzog und auf seine zurückliegende Fast 15-jährige
Inanspruchnahme verwies, war vom alten geschäftsführenden Vorstand
nur noch Schatzmeister Willy Binding übrig geblieben, der auch entsprechende
Vollmachten hatte. Er prüfte vor Ort in der Patenstadt Gießen
die rechtliche Situation und trat wegen Arbeitsüberlastung (Ämterhäufung)
zurück. Zum neuen Schatzmeister wählte der alte Kreistag Frau
Gisela Harder geb. Jeimke-Karge (Lodehnen). Gleichzeitig wurde auf dieser
extra einberufenen Kreistags-Sitzung, in der sich alle darin einig waren,
sofort mit den Vorbereitungen für die gerichtlich angeordnete Maßnahme
zu beginnen, nach kurzer Beratung Landsmann Willy Binding (Himmelforth)
zum Kreissprecher gewählt. Er entwickelte sofort einen Zeitplan,
in dem er dem Kreistag mitteilte, wie und wann die nochmalige Wahl zum
4. Mohrunger Kreistag durchgeführt werden könnte, nämlich
frühestens im Frühjahr oder Mitte 1993.
Für den aus persönlichen Gründen zurückgetretene MHN-Redakteur
Ekkehard Dekkert wurde in der gleichen Kreistagssitzung Landsmann Werner
Fleischer (Wiese) als MHN-Redakteur gewählt.
Neben allen diesen Obliegenheiten nahm der Kreissprecher ersten engeren
Kontakt mit deutschen Landsleuten auf, die noch im alten Kreisgebiet ansässig
sind und dort als Minderheit unter Polen leben. Gemäß dem deutsch-Polnischen
Freundschaftsvertrags von 1991 und in Abstimmung mit der LMO vereinbarte
er mit ihnen einen Termin, um mit seiner Unterstützung einen „deutschen
Freundeskreis“ in Mohrungen in Vereinsform zu etablieren. Die Gründungsversammlung
fand am 19. August 1992 im Herdermuseum in Morą (Mohrungen) statt. Noch
am gleichen Tag informierte Kreissprecher Willy Binding den polnischen
Bürgermeister von der erfolgten Gründung und Zielvorstellungen
des Vereins, und bat gleichzeitig um künftige Unterstützung
mit geeigneten Räumlichkeiten. Der Bürgermeister versprach Entgegenkommen
und deutete an, daß das unbenutzte Kindergarten-Gebäude zur
Verfügung gestellt werden kann.
Bei seinem Kurzbesuch im alten Kreisgebiet benutzte der Kreissprecher
auch die Gelegenheit, das Mohrunger Krankenhaus aufzusuchen, um sich dort
über die Versorgungsnöte und evtl. Hilfsmöglichkeiten ein
Bild machen zu können. Schon im Dezember des selben Jahres konnte
er mit großzügiger Unterstützung der Patenstadt Gießen
nicht nur viele Medikamente, sondern auch medizinische Geräte und
mehrere Krankenhausbetten - aus einem vollbeladenen 7,5t Lkw - persönlich
dem Direktor des Krankenhauses in Morą (Mohrungen) übergeben.
Außer den Vorbereitungen für die Kreistreffen in der Patenstadt
Gießen (am 26. und 27. 9. 1992) und Bad Nenndorf (am 9. und 10.
Sept. 1993), die erstmals wieder eine größere Teilnehmerzahl
als in früheren Jahren aufwiesen, hat der Kreissprecher noch einige
andere Initiativen entwickelt, wie z.B. einen neuen Archivverwalter zu
bestellen, den er in dem in Gießen wohnenden Lothar Surkau (Saalfeld)
fand. Willy Binding hatte wie kein anderer seiner Vorgänger ein überaus
gutes Verhältnis zum OB der Patenstadt, Manfred Mutz, herstellen
können. Er hat diesem wiederholt die Sorgen und Bedürfnisse
der Kreisgemeinschaft vorgetragen,und viel Entgegenkommen erreicht. Bessere
Unterbringungsräume für unser Kreisarchiv sind von der Patenstadt
zwar in Aussicht gestellt, bisher aber noch nicht realisiert worden. Er
hat es in geschickten Verhandlungen erreicht, daß die finanzielle
Unterstützung durch die Patenstadt, trotz der dortigen angespannten
Finanzlage, zu Gunsten der Kreisgemeinschaft verbessert wurden.
Kreissprecher Willy Binding war es auch gelungen, Nach dem Rücktritt
von MHN-Redakteur Werner Fleischer, recht schnell eine gute Ersatzkraft
zu finden. Die neue MHN-Redakteurin Betty Finke, Bochum, hat bisher mit
viel Sachverstand ihre Aufgabe wahrgenommen, und sich damit nahtlos der
Kreisgemeinschaft Mohrungen e.V. eingefügt. Der Kreissprecher hatte
erkannt, daß die im 23. Jahrgang erscheinenden MHN ein wichtiges
Bindeglied für die Kreisgemeinschaft sind und die weitere Herausgabe
unbedingt gesichert werden müßte.
Auf seine Initiative war es zurückzuführen, daß ein polnischer
Bus fast 50 deutsche Landsleute aus dem alten Heimatgebiet zur Teilnahme
am Kreistreffen in Bad Nenndorf herbrachte. Als dieser Bus in Rinteln
eintraf, flossen überall Freudentränen, nicht nur bei den von
weither angereisten Teilnehmern, sondern auch bei uns, den Gastgebern!
Nach der unter seiner Leitung durchgeführten Wahlwiederholung und
Auszählung der Stimmen ergab sich eine große Mehrheit für
den seit kurzer Zeit im Amt befindlichen Kreissprecher. So war es verständlich,
daß auf der konstituierenden Sitzung des nochmals gewählten
4. Mohrunger Kreistages Willy Binding erneut zum Kreissprecher vorgeschlagen
wurde. Er stellte sich aber nicht wieder zur Wahl und verzichtete auf
den ihm angetragenen Vorsitz. Nach 17-jähriger Tätigkeit in
der Führungsspitze der Kreisgemeinschaft Mohrungen e.V. ging ein
guter Steuermann von Bord, der manchmal etwas eigenwillig war, aber dennoch
zielstrebig mitgeholfen hat, die Erinnerung an die alte Heimat wach zu
halten und das ostpreußische Kulturgut zu bewahren.
Der neu gewählte 4. Mohrunger Kreistag bestimmte Walter Heling (Lindenhof)
zum neuen Kreissprecher. Stellvertr. Kreissprecher wurde Dr. Hans-Georg
Wagner (Mohrungen) und zum Geschäftsführer wurde Hans Klein
(Saalfeld) gewählt. Die Verwaltung vom Kreisarchis übernahm
Lothar Surkau (Saalfeld). Die anderen Ausschußmitglieder wurden
erneut in ihren Ömtern bestätigt. Bleibt zu ergänzen, daß
der neue Mohrunger Kreistag Fritz Sankowski (Sorrehnen) zusammen mit Waldemar
D. Domnick (Mohrungen) zu Kassenprüfern bestellte.
Über die bisherige Arbeit der neuen Führungsspitze läßt
sich nach so kurzer Amtsführung nicht viel berichten. Ein besonderes
Anliegen des neuen Kreissprechers ist die Pflege enger Kontakte zum „Verein
der deutschen Bevölkerung Herder“ in Morą (Mohrungen), der
1992 vom damaligen Kreissprecher Willy Bindig gegründet und inzwischen
bei den zuständigen polnischen Behörden registriert worden ist.
Diese Übersicht der Chronik der Kreisgemeinschaft Mohrungen e.V.
erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich bin mir bewußt,
daß hierin nicht alles Erwähnung fand, was sich in der Zeit
des 45-jährigen Bestehens ereignet hat. Es sollten einige Meilenseine
in der Entwicklung unserer großen Gemeinschaft ostpreußischer
Schicksalsgefährten aufgezeigt werden. Ob mir das gelungen ist, überlasse
ich Ihnen, lieber Leser, zu beurteilen.
Anfügen möchte ich, daß es einige Mühe bereitet hat
und manche Recherche erforderlich wurde, um das Wesentliche einigermaßen
chronologisch zusammenstellen zu können. Dabei ist mir aufgefallen,
daß in der Vergangenheit kein Kreisvertreter bzw. Kreissprecher
oder Mitarbeiter aus ihrer Umgebung, nach Wegen und Möglichkeiten
gesucht oder gar gefunden haben, unsere jugendlichen Heimatfreunde, den
Nachwuchs, in unsere große Gemeinschaft einzureihen. Außer
ein paar Absichtserklärungen ist in dieser Richtung nicht unternommen
worden. Diese nicht wieder gutzumachenden Versäumnisse aller einstigen
Kreissprecher könnten schon in den kommenden Jahren für die
Kreisgemeinschaft Mohrungen e.V. existenzgefährdend werden.
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