Inhaltverzeichnis: 1.Einleitung
2.
Geschichte des Kreises Mohrungen 2.1.
Die Lage des Kreises bis 1945 2.2.
Die Entwicklung des Kreises Mohrungen – Vom Ende der Ordenszeit bis zum
Ende des Ersten Weltkrieges
2.3.1.
Mohrungen 2.3.2.
Saalfeld 2.3.3.
Liebstadt 2.4.
Gemeinden 2.5.
Wirtschaft 2.6.
Infrastruktur 2.6.1.
Eisenbahnnetz 2.6.2.
Straßennetz 2.6.3.
Der Oberländer Kanal
3.
Der Kreis Mohrungen vor dem Zweiten Weltkrieg (1933 bis 1939) 3.1.
Die Nationalsozialisten im Kreis 3.2.
Das Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft am Beispiel der Stadt
Saalfeld Kriegsvorbereitungen
4.
Der Kreis Mohrungen während des Krieges 4.1
Kriegsalltag 4.2
Der Krieg in Russland 4.3
Die Wende des Krieges und seine Auswirkungen auf den Kreis Mohrungen
5.
Die militärische Lage an der Ostfront 1944-45 5.1.
Das Eindringen der Roten Armee in Ostpreußen 1944 5.2.Die
Offensive 13.1.1945 Die Situation im Kreis Mohrungen
6.
Die Flucht in Ostpreußen 6.1.
Flüchtlingsströme 6.2
Treckarten 6.3.
Die Flucht über den Seeweg
7.
Die Flucht aus den einzelnen Kirchspielen und Städten 7.1.
21. Januar 1945 der Exodus beginnt 7.2.
Die Flucht aus den Städte 7.3.
Die Flucht vom Land 7.4.
Die missglückte Flucht Leiden unter der Roten Armee
8.
Vertreibung der verbliebenen Bevölkerung aus dem Kreis Mohrungen
1945-47 8.1.
Leben unter den Sowjets und Polen 8.2.
Die Vertreibung 8.3.
Die späten Ausweisungen
9.
Zwangsarbeit und Deportation 9.1.
Zwangsarbeit in Ostpreußen bis zur Vertreibung 9.2.
Deportation in die Sowjetunion
10.
Aufnahme der Mohrunger Flüchtlinge in der SBZ und in den westlichen
Besatzungszonen
11. Flucht und Vertreibung - Bilanz und
politischer Hintergrund 11.1. Die Bilanz der Flucht und Vertreibung 11.2. Der politische Hintergrund
der Vertreibung – Die Konferenzvon Potsdam
12. Resümee
|
1. Einleitung |
Januar 1945 – seitdem sind 56 Jahre vergangen – mehr als ein
halbes Jahrhundert. Sie erscheinen uns Nachgeborenen in weiter Ferne zu
liegen, doch den Zeitzeugen der Vertreibung sind die Erlebnisse noch
frisch in Erinnerung. In ihren Gedächtnissen sind alle Leiden und
Entbehrungen tief verankert – doch mit dem Aussterben dieser Generation
erlischt auch die kollektive Erinnerung an die Flucht und Vertreibung.
Aufgabe unserer Generation ist es, die noch lebenden Zeugen dieser
Zeit zu befragen und ihr Wissen aufzubewahren und es nicht in
Vergessenheit geraten zu lassen. Die nachfolgenden Generationen sollen
sich stets der Schrecken des Zweiten Weltkrieges bewusst sein und sie mit
einem „Nie wieder!“ beantworten.
In dem vorliegenden Werk wird ein
kleiner Teil des Leidens und der Gräueltaten, die im Zweiten Weltkrieg
begangen wurden, dargestellt. Die Arbeit möchte mit der Darstellung
der Flucht und Vertreibung der ostpreußischen Bevölkerung, insbesondere
der aus dem Kreis Mohrungen, nicht das Leid anderer Verfolgter und Opfer
relativieren. Die Erlebnisse der Mohrunger sollen das Schicksal einer
kleinen deutschen Bevölkerungsgruppe beschreiben, deren Leiden
exemplarisch ist für das aller Flüchtlinge und Vertriebener aus den
deutschen Ostgebieten und die letztlich auch nur Opfer zweier
menschenverachtenden Diktaturen waren.
Der ehemalige Kreis
Mohrungen liegt im heutigen Polen und hat sich seit der Vertreibung der
Deutschen in vieler Hinsicht verändert. In den ersten Kapiteln der Arbeit
soll daher der Kreis Mohrungen dem Leser beschrieben werden, wie er sich
vor der Vertreibung darstellte.
Für die Darstellung und den
historischen Überblick des Kreises wurde das Standardwerk von Frhr. von
Wrangel herangezogen, dass trotz seines Alters immer noch unverzichtbar
ist.
Da die Geschichte der Flucht und Vertreibung unmittelbar mit
den Kriegesereignissen an der Ostfront 1944/45 verbunden ist, wird auch
nicht auf die Schilderung der entsprechenden Vorentwicklungen
verzichtet.
Der Hauptteil der Arbeit befasst sich mit der Flucht
und Vertreibung der Bevölkerung aus dem Kreis Mohrungen. Im Wesentlichen
werden hier die zahlreichen Erlebnisberichte der beteiligten Personen
herangezogen. In vielen Fällen wäre eine Unterstreichung der Berichte
durch offizielle Dokumente hilfreich gewesen, doch sind diese durch die
Wirren des Krieges verloren gegangen. So liegt zum Beispiel leider kein
offizieller Evakuierungsbefehl der Kreisleitung vor.
Die
Darstellung der Zwangsarbeit und der Deportationen basiert auf einigen
wenigen Berichten, da nur die wenigsten Überlebenden bereit waren, ihre
Erinnerungen schriftlich niederzulegen – Indiz dafür, wie sehr die
Menschen noch heute unter dem Erlebten zu leiden haben.
Die
Literatur über die Flucht und Vertreibung stammt hauptsächlich aus den
1950er und 60er Jahren – das öffentliche Interesse nahm in den
darauffolgenden Jahrzehnten, spätestens aber seit der Deutschen
Wiedervereinigung, deutlich ab. Über die Geschichte der Flucht und
Vertreibung der Bevölkerung aus dem Kreis Mohrungen liegt bis heute kein
umfassendes Werk vor, der Autor nutzt daher hauptsächlich die Dokumente,
die heute im Archiv der Kreisgemeinschaft Mohrungen aufbewahrt
sind.
Die Fülle des im Archiv aufbewahrten Erlebten macht ein
Eingehen auf jedes Einzelschicksal schier unmöglich, daher sollen hier
einige Fälle exemplarisch dargestellt werden, um die Erlebnisse jener Zeit
möglichst überschaubar aufzuzeigen.
Die Quellen sind allesamt
durch das persönliche Erleben geprägt. Zum Teil wurden die
Erlebnisberichte schon 1945/46 verfasst, manche aber erst einige
Jahrzehnte später. Hierdurch kann es zu einigen Ungenauigkeiten kommen,
die aber das Gesamtbild nicht wesentlich beeinflussen. Der Mangel an
offiziellen Berichten der NSDAP-Parteiorgane oder von Wehrmacht und
Polizei wird durch die Verwendung von solchen oder ähnlichen Angaben aus
persönlichen Aufzeichnungen ersetzt. Ein weiteres Problem bei der
Aufarbeitung der Problematik ist die emotionale Färbung der Berichte.
In vielen Fällen wird das erlebte Leid in seinen schlimmsten
Facetten geschildert – eine sachliche Wiedergabe wird dadurch sehr
erschwert. Ebenso sind viele Erlebnisse aufgrund ihrer schwerwiegenden
Bedeutung für die Zeitzeugen verdrängt worden. Wir finden sie daher
oftmals nur in „Fußnoten“ und können nur vermuten, was letztlich alles
passiert sein mag – dies betrifft vor allem die zahlreichen
Vergewaltigungen der ostpreußischen Frauen durch die sowjetischen
Soldaten.
Auch die Qualität der Berichte kann sehr stark
variieren, so sind z.B. Quellen vorhanden, in denen nur an versteckter
Stelle wichtige Informationen über Flucht oder Vertreibung zu finden ist.
Die Aufgabe ist daher, das Wesentliche aus den umfangreichen Berichten
zu extrahieren, so dass der eigentliche Sinn nicht verloren geht. zurück
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|
2. Geschichte des Kreises
Mohrungen |
Zur Einführung in das Thema der vorliegenden Arbeit soll an
dieser Stelle der Kreis Mohrungen vorgestellt werden. In der Hauptsache
wird seine Geschichte in der unmittelbaren Vorzeit des Zweiten Weltkrieges
dargestellt, aber auch auf eine kurze Darstellung der davor liegenden Zeit
soll nicht verzichtet werden.
Des weiteren wird auf die Bedeutung
der Städte und Gemeinden des Kreises und ihrer Bevölkerung eingegangen
werden.
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|
2.1. Die Lage des Kreises bis
1945 |
Der Kreis Mohrungen liegt im westlichen Ostpreußen, unweit der
Landesgrenze zu Westpreußen. Nördlich des Kreisgebietes befindet sich
die bedeutende Industriestadt Elbing unweit des Frischen Haffs, im
Nordwesten, ca. 15 km von der Kreisgrenze entfernt, liegt die für die
Geschichte Ostpreußens so bedeutende Marienburg. Südöstlich des
Kreises gelegen trifft man auf die Stadt Allenstein.
Die rund 1.265
km2 große Fläche des Kreises wird mit 66,4 % von landwirtschaftlichen
Nutzflächen dominiert 1. Einen weiteren großen Teil der Fläche nehmen
die großen Waldgebiete wie der Altchristburger Forst im Südwesten des
Kreises ein. Ebenfalls prägend für die Landschaft wirken die
zahlreichen kleinen und größeren Seen, die von dem Rückzug der letzten
Eiszeit zeugen. Das Kreisgebiet scheint durch den in seiner geographischen
Mitte gelegenen Röthloff-See regelrecht zweigeteilt zu sein. Dieser
Eindruck verschärft sich zudem, da dieses Seensystem von Menschenhand
durch den Oberlandkanal erweitert wurde und so eine regelrechte Barriere
bildet. zurück
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|
2.2. Die Entwicklung des
Kreises Mohrungen – Vom Ende der Ordenszeit bis zum Ende des Ersten
Weltkrieges |
Im Jahr 1525 wurde – nach dem Ende der Herrschaft des Deutschen
Ordens – Ostpreußen zu einem weltlichen Herzogtum geformt. Anstelle der
bisherigen Komtureien traten fortan Bezirke, die durch Amtshauptmänner
verwaltet wurden. Die Aufgaben dieser Hauptleute waren sehr umfangsreich –
sie waren unter anderem mit der öffentlichen Verwaltung, der Rechtspflege,
der Verwaltung des Kirchen- und des Schulwesens, des Militärkommandos und
des Rechnungswesens betraut. Es gab in dieser Zeit zwei Hauptämter im
Bereich des Kreises Mohrungen, eines in Preußisch Mark und ein zweites in
der Stadt Mohrungen. Unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm I.
(1713-1740) wurde das alte Verwaltungssystem neu geregelt.
Diese
Neuregelung hatte dann 1722 die Einsetzung eines Kreisrates in Mohrungen
zur Folge. 1740 wurde nach einige Jahrzehnten Verspätung auch in
Ostpreußen die Einrichtung von Landratsämtern in Angriff genommen, doch
musste der junge König Friedrich II. schon nach kurzer Zeit diesen Plan
wieder aufgeben, da durch die Schlesischen Kriege gegen Österreich die
Staatskasse leer war und das Geld für die Neustrukturierung der Verwaltung
fehlte.
Erst 1752 wurde die Aufteilung Ostpreußens in
Landratsämter beschlossen. Eines dieser Ämter wurde in Mohrungen
eingerichtet. Die neue Landkreisverwaltung zeigte erst während des
preußisch-französischen Krieges von 1806/07 ihre Schwächen und wurde als
reformbedürftig eingestuft. Doch erst im Zuge der Befreiungskriege ab 1813
wurde dieses Vorhaben durchgeführt. Nach dem Ende der napoleonischen
Kriege und der Restauration in Europa ging man in Preußen an eine
Neueinteilung der Kreise.
Am 3. Januar 1818 wurde in dem Amtsblatt
der Regierung die Neueinteilung der Kreise bekannt gegeben. Am 1. Februar
des Jahres wurde diese Bekanntgabe umgesetzt. Der Kreis Mohrungen
wurde aus den Kirchspielen Liebstadt, Silberbach, Kahlau, Herzogswalde,
Mohrungen, Reichau, Alt Christburg, Miswalde, Liebwalde, Altstadt,
Arnsdorf, Wilmsdorf, Simnau, Saalfeld, Weinsdorf, Schnellwalde,
Jäskendorf, Sonneborn gebildet. Am 17. März 1828 wurde für das
Königreich Preußen eine neue Kreisordnung erlassen, ihr wesentlicher Punkt
war die Einrichtung eines Kreistages, in dem die Grundbesitzer, Städte und
Landgemeinden der jeweiligen Kreise vertreten sein sollten. Ab März
1829 stellte der Kreistag dem Landrat zwei Kreisdeputierte zur Seite, die
diesen bei bestimmten Anlässen vertreten sollten. Das Aufbegehren
vieler Bevölkerungsteile 1848 in ganz Europa ging auch an Ostpreußen nicht
spurlos vorbei. Die neuen Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und
Provinzialordnungen von 1850 führten auch im Landkreis Mohrungen zu
Veränderungen. Im Kreistag sollte fortan nicht mehr der Adel die Mehrheit
bilden, sondern eine gleichmäßige Verteilung der Sitze an Grundbesitzer,
Städte und Landgemeinden vorhanden sein.
Dieser liberale Vorstoß
wurde aber schon bald durch eine Revision der Gemeindeordnung zunichte
gemacht. Am 24. Mai 1853 wurde die neue Ordnung außer Kraft gesetzt
und die alten Verhältnisse wieder hergestellt. Der letzte größere
Einschnitt in der Kreisgeschichte fand nach der Herstellung der
Reichseinheit nach 1871 statt. Frühere Versuche, die Gemeindeordnung
von 1853 im Steinschen Sinne zu reformieren, wurden 1869 auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben. Nach der Gründung des Deutschen Reiches
sollten die Landkreise endlich mit der neuen Kreisordnung vom 13. Dezember
1872 eine Ausweitung ihrer Rechte erhalten. In dieser Verordnung erhielten
die Kreise der östlichen Provinzen des Reiches nun die Souveränität, die
die Städte des Reiches schon eine geraume Zeit vorher erhielten.
Zu
Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Kreisverwaltung mit
schwerwiegenden Aufgaben konfrontiert. Die südlich der ostpreußischen
Grenze liegenden Kriegsschauplätze hatten einen Flüchtlingsstrom
ausgelöst, der durch die Kreisverwaltung versorgt werden musste. Die
näher rückenden russischen Truppen schienen schon die Grenzen des Kreises
Mohrungen zu erreichen, was eine Evakuierung der deutschen
Zivilbevölkerung zur Folge gehabt hätte, doch zu dieser Bewährungsprobe
kam es letztlich nicht, da die Truppen des Zaren von den Generälen von
Hindenburg und Ludendorff geschlagen und aus Ostpreußen vertrieben werden
konnten.
In der Folgezeit mussten sich die Einwohner des Kreises
wegen der kriegsbedingten Knappheit einschränken, wurden jedoch von
weiteren Kriegshandlungen verschont. In der darauf folgenden Zeit
blieb das Kreisgebiet von Kriegshandlungen verschont, die
Auseinandersetzung an der deutschen Ostfront wurden tief in die Ukraine
hineingetragen. Nach dem Waffenstillstand von 1917 blieb es im Osten
der Front weitgehend ruhig.
Wesentlich turbulenter sollte es im
Kreis Mohrungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zugehen. Bereits
während der Waffenstillstandsverhandlungen (8.11. – 11.11.1918) kam es im
Kreis Mohrungen am 10. November 1914 zur Bildung eines Arbeiter- und
Soldatenrates, der seine Arbeit ohne größere Zwischenfälle bis zu der
Durchführung der Kommunalwahlen vom 4. Mai 1919 erledigte. Die neue
Kreisverwaltung hatte in der Folgezeit eine Fülle von neuen Aufgaben zu
bewältigten, so musste sie sich den aufkommenden Problemen der
Massenarbeitslosigkeit, der Wohnungsknappheit und nicht zuletzt der
Unterbringung von Flüchtlingen widmen. zurück
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|
2.3. Städte |
Wie schon eingangs erwähnt, ist der Kreis Mohrungen im wesentlichen
ländlich geprägt. Im Landkreis befinden sich drei größere Städte:
Mohrungen, Saalfeld und Liebstadt, auf deren Geschichte kurz eingegangen
werden soll.
|
2.3.1. Mohrungen |
Die Kreisstadt Mohrungen mit ihren ca. 7.000 Einwohnern10 liegt
im Osten des Kreisgebietes und ist im wirtschaftlichen als auch im
politischen Sinne das Zentrum des Kreises. Nach ältesten
Überlieferungen soll in Mohrungen bereits 1280 eine Burg des deutschen
Ordens vorhanden gewesen sein. Im Umfeld dieser Befestigung sollen sich
Siedler aus dem Südharz niedergelassen haben, um das Land fruchtbar zu
machen. Der Ursprung des Stadtnamens ist vermutlich auf die gleichnamige
Stadt im Südharz zurückzuführen – eine Vermutung, die durch die Herkunft
der Siedler naheliegend erscheint.
Die eigentliche Gründungsurkunde
ist auf unbekannte Weise verloren gegangen – eine erneute Handfeste
bestätigte 1331 die Gründung der Stadt. Die nächsten drei Jahrhunderte
wurde die Geschichte der Stadt durch den Deutschen Orden dominiert, der in
Mohrungen durch seine Vertreter stets präsent war.
Einen letzten
Höhepunkt erlebte Mohrungen mit der Niederlassung des Obersten Spittlers
des Ordens Heinrich Reuß von Plauen. Der später zum Hochmeisterstatthalter
ernannte H. R. von Plauen bezog im Mohrunger Schloss seinen Wohnsitz, von
wo aus er seinem Amt nachging.12 In der Reformationszeit schlossen sich
die Mohrunger Bürger 1531 den Lehren Luthers an, dies war im Vergleich zu
anderen Landesteilen Deutschlands zwar nicht sehr früh, aber dennoch eine
deutliche Reaktion auf die vorausgegangene Herrschaft des Deutschen
Ordens.
Im Jahre 1782 hatte Mohrungen noch 1.753 Einwohner, deren
Zahl in den folgenden 150 Jahren rasch anstieg. Im Jahre 1937 zählte
Mohrungen bereits 6.223 Einwohner, was vor allem durch einen starken
Geburtenzuwachs, aber auch durch Zuzug aus Polen und Westpreußen zu
erklären ist
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt
zunehmend zum Verkehrsknotenpunkt des Kreises. Die Größe des Bahnhofes
zeugte einst von seiner Wichtigkeit als Umschlagplatz für Güter aller
Art.
Bekanntester Sohn der Stadt ist der Dichter Johann Gottfried
Herder, der am 25. August 1744 in Mohrungen geboren wurde. Herder zählt zu
den richtungsgebenden Anhängern der Sturm- und Drangperiode in der
deutschen Dichtung. Sein Geburtshaus stand noch bis nach dem Zweiten
Weltkrieg, wurde aber in den fünfziger Jahren abgerissen und durch einen
Neubau ersetzt.
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|
2.3.2. Saalfeld |
Die Stadt Saalfeld mit ihren 3.074 Einwohnern (1937) liegt
unmittelbar am Ewing-See, im Westen des Kreises Mohrungen. Und auch hier
verweist der Stadtname auf den Ursprung der Siedlung – die ersten Siedler
kamen mit größter Wahrscheinlichkeit aus dem Umland der gleichnamigen
Stadt in Thüringen. Diese Vermutung wird noch zusätzlich unterstützt durch
die Tatsache, dass der Christburger Komtur Sieghart von Schwarzburg, der
Saalfeld 1305 die Handfeste verlieh, ebenfalls aus Thüringen kam und
vermutlich seine Neusiedler aus seinem Stammland rekrutierte.
Durch
die schon erwähnte Umwandlung Ostpreußens im Jahre 1525 von einem
Ordenstaat in ein weltliches Herzogtum wurde die kleine Stadt Saalfeld zur
Hauptstadt des oberländischen Kreises.
Ein weiteres wichtiges
Ereignis für Saalfeld war die Errichtung eines pomesanischen Konsistoriums
im Jahre 1587, das nach dem Eingehen der Bischofswürde in Preußen zu
besetzen war – dieses verblieb bis 1751 in der Stadt.
Zwischen 1807
und 1813 hatte Saalfeld unter der französischen Besatzung zu leiden, hatte
aber glücklicherweise keine größeren personellen und materiellen Schäden
zu verzeichnen. In der Folgezeit kehrte wieder Ruhe in die zu diesem
Zeitpunkt ca. 1.000 Einwohner zählende Stadt. Erst der Abzug der
Stadtgarnison im Jahre 1866 bedeutete wieder einen großen Einschnitt in
das geregelte Leben der Saalfelder.
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|
2.3.3. Liebstadt |
Im Nordosten des Kreises liegt die Stadt Liebstadt an dem
kleinen Fluß Liebe. Erste Erwähnung findet sie schon 1314, wird aber erst
1423 als Stadt bezeichnet.
Liebstadt erlangte seine Bedeutung vor
allem durch die benachbarte Ordensburg. Die kleine Stadt hatte zu
Beginn des 17. Jahrhunderts sehr unter der Pest zu leiden – alleine im
Jahr 1625 sollen über 1.000 Menschen an der Pest gestorben sein. Die
Bevölkerung der Stadt erholte sich jedoch in den zwei folgenden
Jahrhunderten von diesem schweren Schicksalsschlag und wurde Mitte des 18.
Jahrhunderts zu einer florierenden Brauerstadt, die weit über die Grenzen
des Kreises hinaus ihre Produkte exportierte.
Im 19. Jahrhunderte
profitierte Liebstadt von seiner Lage zwischen dem ertragreichen Ermland
und der Bahnstation Schlobitten. Erst durch den Bau neuer Bahnstrecken
ließ dieser Wohlstand erheblich nach. Doch nach dem Ende des Ersten
Weltkrieges ging es wieder wirtschaftlich mit Liebstadt voran.
Liebstadt zählte 1937 1.508 Einwohner, was verglichen mit der
Einwohnerzahl von 1782 (1.200 Einwohner) jedoch nur ein bescheidenes
Wachstum darstellte.
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|
2.4. Die Gemeinden |
An der Gesamteinwohnerzahl des Kreises nahmen die Gemeinden den
größten Teil ein: So waren von den 1939 gezählten 56.255 Einwohnern des
Kreises lediglich 13.074 Einwohner aus städtischen Kirchspielen, aber
insgesamt 43.181 Menschen lebten in den kleinen, ländlichen
Gemeinden.
Die 111 Gemeinden des Kreises wurden in zwanzig
Kirchspiele zusammengefasst.
Die Einwohnerzahl der einzelnen
Gemeinden lag im Durchschnitt zwischen 100 und 600 Menschen, wobei es
einige wenige Orte wie Freiwalde (1.015 E.) oder Alt Christburg (988 E.)
gab, die ein wenig größer waren als der allgemeine
Durchschnitt.
Die Gemeinden waren alle land- oder
forstwirtschaftlich geprägt, dementsprechend war auf dem Land auch keine
Art von Industrie zu finden.
Die Menschen arbeiteten entweder auf
den großen Gutshöfen der Region oder bewirtschafteten ihre eigenen kleinen
Schollen. Kleinere Bauernhöfe wie in der westlichen Reichshälfte waren im
Kreis Mohrungen – wie in den gesamten ostelbischen Besitzungen – kaum zu
finden.
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|
2.5. Wirtschaft |
Wie bereits erwähnt, gab es im Kreis Mohrungen keine
nennenswerte Industrie. Neben zahlreichen kleinen Handwerksbetrieben
ist noch das Sägewerk in Mohrungen zu nennen, dass große Teile des im
Kreisgebiet geschlagenen Nutzholzes weiterverarbeitete. Einzige
Ausnahme bildete die erst 1937/38 auf dem Gut Workallen in Betrieb
genommene Spinnerei. Hier waren ca. 800 Menschen beschäftigt. Workallen
war somit der einzige Großbetrieb im Kreis, der industriell
fertigte.
Das Hauptaugenmerk soll daher auf die Land- und
Forstwirtschaft gelenkt werden, die das Hauptaufkommen der
wirtschaftlichen Leistungen des Kreises bestritten. Die Bedeutung die
diese beiden Wirtschaftszweige an der Gesamtwirtschaft hatten, wird
schnell an den Beschäftigungszahlen deutlich: In der Land- und
Forstwirtschaft des Kreises arbeiteten 63,93 % der arbeitsfähigen
Bevölkerung, in Industrie und Handwerk hingegen nur 27,45 %. Das
Schlusslicht der Statistik bildete die Sparte Handel und Verkehr mit 8,62
%.
Die Forstwirtschaft war im Kreis von nicht unerheblicher
Bedeutung, so waren 19,4 % der Gesamtfläche des Kreises
forstwirtschaftliche Nutzfläche.
Ein großer Teil dieser 24.552 ha
lag im Westen des Kreises, der Alt-Christburger Forst war damit die
größte, zusammenhängende Waldfläche im Kreis Mohrungen. Im Umfeld der
Stadt Mohrungen lagen weitere kleinere Forstgebiete, von denen unter
anderem das Sägewerk in Mohrungen profitierte. Die am häufigsten
vorkommende Baumart war die Kiefer, die in den einzelnen Forstgebieten
zwischen 50 und 90 % der Anbauflächen einnahm. Neben diesem Nadelholz
war noch die Buche mit 10 bis 25 % der Anbaufläche vorhanden. In
Mohrungen konnte sich durch die großen Kieferbestände eine florierende
Schneideholzindustrie etablieren.
Die Landwirtschaft stellte im
Kreis Mohrungen den wichtigsten Wirtschaftssektor dar. Ungefähr 66,2 % der
Kreisfläche wurden landwirtschaftlich genutzt (83.832 ha). Drei Viertel
der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurden für den Ackerbau genutzt, etwas
mehr als ein Viertel dienten der Weiden- und Wiesenwirtschaft.
Insgesamt gab es 1939 4.667 landwirtschaftliche Betriebe. Zahlenmäßig
waren die Betriebe mit einer Nutzfläche von bis zu 20 Hektar am häufigsten
vertreten (3.920 Betriebe), doch hatten diese Betriebe (84 % der
Gesamtzahl) nur einen unverhältnismäßig kleinen Teil an der
Gesamtnutzfläche.
Dem gegenüber standen 747 Betriebe (16 % der
Gesamtzahl) mit einer Fläche zwischen 20 und 1.000 Hektar, die eine Fläche
von 55.230 Hektar für sich verbuchen konnten. Diese Gruppe
bewirtschaftete damit 2/3 der Gesamtanbaufläche26 - eine
Verteilungsungerechtigkeit, die für die landwirtschaftlichen Verhältnisse
in Ostpreußen allerdings üblich war.
Obwohl der Kreis durch seine
geologischen und klimatischen Bedingungen nicht zu den günstigsten
Anbaugebieten des Reiches gehörte, konnten dennoch durchschnittliche
Ernteergebnisse erwirtschaftet werden.
Neben Roggen als
Hauptpflanze wurden noch Weizen und kleinere Gerste- und Haferkulturen
angebaut. Außer dem Korn wurden auch große Mengen an Hackfrüchten
angebaut. Hier konnte sich die Kartoffel mit größerem Erfolg durchsetzen
als die Zuckerrübe, da sie wesentlich genügsamer in der Verträglichkeit
von Böden ist. Versuche, eine Zuckerrübenfabrik zu etablieren,
scheiterten letztlich auch an den mangelnden Erträgen.
Durch die
großen Weideflächen im Landkreis Mohrungen war für die Viehzucht eine gute
Grundlage gegeben. Das Rind ist aufgrund seiner Vielseitigkeit als
Weidetier im Kreis Mohrungen am häufigsten zu finden (Kreis Mohrungen,
1939: 46.178 Rinder).
Neben der Nutzung als Milchvieh wurden auch
zahlreiche Rinder in Mastbetrieben großgezogen, um schließlich auf dem
Fleischmarkt in Berlin verkauft zu werden. Weiterhin wurden auf den
Grünflächen noch Schafherden gehalten, die aber mit einer Gesamtzahl von
10.537 Tieren relativ klein waren. Schafe hatten besonders in
Landstrichen mit schlechten Boden den Vorteil, dass sie sich mit der
schlechten Vegetation als Futtermittel begnügen
konnten.
Zahlenmäßig stellte die Schweinepopulation den größten
Anteil an der Viehzucht dar. Sie betrug im Jahre 1939 81.188 Tiere.
Schweine wurden meistens in Ställen gehalten und konnten mit den zahlreich
vorhandenen Kartoffeln gefüttert werden, die für ein gutes Wachstum der
Tiere sorgten.
Die Pferdezucht war wie in weiten Teilen
Ostpreußens, eine weitere große Säule in der Landwirtschaft des Kreises.
Die Pferde wurden nicht nur als Arbeitstiere eingesetzt, sondern
wurden dank ihrer körperlichen Vorzüge zur Zucht gehalten. Auf großen
Gütern wurden sowohl kalt- als auch warmblütige, in der Regel aber
reinblütige Pferde gezüchtet31 (15.257 Tiere im Jahre 1939).
Dieser
Zuchtzweig wurde den Ostpreußen schon oft zum Schicksal, da durchziehende
Armeen die vorzüglichen Pferde nur zu gerne requirierten. Besonders in den
Tagen der Flucht waren die Pferde für das Überleben der Menschen von
großer Wichtigkeit. Die besondere Rolle, die die Pferde bei der Flucht vor
der Roten Armee spielten, finden daher in zahlreichen Berichten
Anklang.
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|
2.6. Infrastruktur |
Der Kreis Mohrungen lag verkehrtechnisch sehr günstig. Seine
Position zwischen dem Frischen Haff und dem Oberland hatte einen
Binnenverkehr zur Folge, der einen guten Ausbau der Verkehrswege nach sich
zog. Neben einem für die ländliche Gegend vergleichsweise gut
ausgebauten Straßennetz existierten auch mehrere
Eisenbahnlinien.
Der Oberländer Kanal vervollständigte das Wegenetz
schließlich auf dem Wasser.
|
2.6.1. Eisenbahnnetz |
Das Streckennetz wurde im Kreis bereits vor 1880 angelegt. Es
diente neben dem Personentransport im Besonderen zum Abtransport der
landwirtschaftlichen Produkte und der großen Mengen geschlagenen Holzes.
Neben den zahlreichen Feldprodukten wurden hauptsächlich Rinder, Schweine
und Pferde in die westlicher gelegenen Reichsteile transportiert.
Einkommende Waren mit der Eisenbahn waren hauptsächlich Produkte und
Rohstoffe, die im Kreis nicht vorhanden waren.
Im Jahre 1896 wurde
das Netz durch die Strecke Mohrungen - Wormditt erweitert, 1902 kam noch
die Strecke Mohrungen – Osterode hinzu.33
Das Bahnhofsgebäude in
der Kreisstadt stand zu diesem Zeitpunkt bereits knapp zwei Jahrzehnte (um
1880). Das Personenaufkommen im Schienenverkehr stieg mit dem Anwachsen
der Städte Ende des 19. Jahrhunderts deutlich.
Mohrungen
profitierte zudem von seiner Funktion als Oberzentrum. Tagsüber reisten
viele Menschen in die Stadt, um ihrer Arbeit, Behördengängen oder
Einkäufen nachzugehen. Sonntags wurde der Bahnhof von den Mohrungern
genutzt, um die Erholungsgebiete der Region zu erreichen.
Auch
weitere Reisen in Richtung Königsberg, Danzig oder Berlin waren durch das
gut ausgebaute Schienenstreckennetz möglich.
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|
2.6.2. Straßennetz |
Im 19. Jahrhundert wurde mit dem Ausbau der
Hauptdurchgangsstraßen des Kreises begonnen: Sie verbanden im Wesentlichen
die drei großen Städte Mohrungen, Liebstadt und Saalfeld. Ab 1875
wurden die großen Durchgangsstraßen mit Querverbindungen verknüpft, so
dass einige kleinere Orte an dieses Netz angeschlossen wurden. Ein
weiterer kreisinterner Straßenausbau fand im größerem Maße ab 1925 statt.
Der Beginn des Krieges 1939 beendete zunächst das zu diesem
Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Straßenbauprogramm – die politische
Entwicklung nach 1945 beendete die ehrgeizigen Programme endgültig.
Die großen Straßen des Kreises waren an das größere Straßennetz
der Provinz angeschlossen. Die Hauptrichtung führten aus dem Kreis
nach Nordwesten (Marienburg – Dirschau –Danzig), nach Süden (Deutsch
Eylau bzw. Osterode), nach Osten (Allenstein), nach Nordosten
(Wormditt – Mehlsack – Königsberg) und nach Norden (Preußisch Holland
– Elbing –Danzig). Auf dem Weg nach Westen wurde die Weichsel, als
natürliche Barriere, an einigen wenigen Stellen mit Brücken
überspannt.
In späteren Jahren ging die Verantwortung für den
Straßenbau vom Reich auf die einzelnen Kreise über.
Das Resultat
dieser Entscheidung war eine Abschottung der neueren Kreisstraßennetze
gegenüber den Nachbarkreisen, um den Verkehr in die anderen Kreise zu
erschweren.
Diese schwerwiegende Entscheidung sollte 1945 dazu
beitragen, dass es der flüchtenden Bevölkerung nur möglich war auf den
alten Hauptstraßen zu flüchten, und es so zu erheblichen Verstopfungen der
Straßen kam – die letztlich den vielen Menschen eine erfolgreiche Flucht
verwehrte.
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|
2.6.3. Der Oberländer Kanal |
Bereits im 19. Jahrhundert begannen die Arbeiten am Oberländer
Kanal. Ziel war es, das Oberland mit dem Unterland und schließlich mit dem
Frischen Haff zu verbinden.
|
|
Abb.1 Der Oberländer Kanal |
Hintergrund dieses gewagten Bauwerkes war die schlechte
verkehrstechnische Anbindung des Oberlandes – Güter und das waren in
diesem Fall hauptsächlich Holz und landwirtschaftliche Erzeugnisse,
mussten mit dem Wagen transportiert werden, da es zu diesem Zeitpunkt noch
keine Eisenbahnstrecke gab.
Nach dreiundzwanzigjähriger Bauzeit
wurde der Kanal am 31.8.1860 eröffnet. Bis zur Inbetriebnahme neuer
Eisenbahnstrecken sollte der Kanal die wichtigste Handelsverbindung
zwischen Ostsee und Oberland bleiben. Danach verlor der Kanal immer
mehr an Bedeutung, da er in Fragen der Wirtschaftlichkeit der Eisenbahn
deutlich unterlegen war. Schließlich wurde der Kanal nur noch touristisch
genutzt.
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|
3. Der Kreis Mohrungen vor dem Zweiten Weltkrieg
(1933 bis 1939)
|
3.1. Die Nationalsozialisten im
Kreis
|
Auch das Jahr 1933 war im Kreis Mohrungen ein schicksalhaftes.
Die neue Verwaltung der „Weimarer Republik“ hatte sich gerade
etabliert und ihre Arbeit zeigte erste größere Erfolge, als auch im
Landkreis die Nationalsozialisten die Macht übernahmen.
Die
Situation wird hier sehr anschaulich durch den letzten demokratischen
Landrat des Kreises, Freiherr von Wrangel, dokumentiert. Von Wrangel, dem
wir auch das Werk über die Geschichte des Landkreises Mohrungen zu
verdanken haben, beschreibt deutlich die Schwierigkeiten der Verwaltung
nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten.
Wie in allen
Kreisen des Reiches waren auch in Mohrungen bereits NSDAP Parteimitglieder
in wichtigen Stellen, als die Nationalsozialisten 1933 die Regierung im
Reich übernahmen. In Mohrungen waren dies ein in den vorzeitigen
Ruhestand geschickter Polizist und ein Verwaltungsbeamter, der fortan als
Sprecher der Kreisverwaltungsmitarbeiter fungierte.
In Mohrungen
kam es wie überall in Deutschland zu gewaltsamen Ausschreitungen gegenüber
Minderheiten. Dies zeigte sich am häufigsten gegenüber Juden und deren
Besitz. Die Polizei des Kreises war angesichts dieser Gewalttaten machtlos
– man beschränkte sich darauf die Unruhen einzudämmen und auf einige
wenige Geschäfte zu begrenzen, um ein weiteres Ausbreiten zu
verhindern. Zuerst ging die NSDAP daran, ihre Mitglieder in den
wichtigsten politischen Positionen zu installieren. Im gesamten Kreis
wurden Amtvorsteher und Bürgermeister wie der Mohrunger Bürgermeister
Weyde durch Nationalsozialisten ersetzt. Nach eigener Aussage bemühte
sich Landrat von Wrangel, seine Behörde, die Kreisverwaltung, so lange wie
möglich unabhängig von der Kreisleitung der NSDAP und den SS-Dienstellen
zu erhalten.
Letztlich stand der integre von Wrangel den
Nationalsozialisten in ihrem Bestreben, ihre Machtfülle im Kreis zu
vergrößern, nur im Weg. Von Wrangel wurde aufgefordert, in die NSDAP
einzutreten, was dieser aber energisch ablehnte. 1935 wurde er aus
diesem Grund vorzeitig in den Ruhestand versetzt.
Anschließend
wurde auch der freigewählte Kreistag aufgelöst, ihm folgte einige Zeit
später der Kreisausschuss, lediglich die Kreisdeputierten, als
Stellvertreter des Landrates, wurden beibehalten. Erst 1936 wurde der von
den Nationalsozialisten ernannte neue Landrat Eberhard Panneborg in sein
Amt eingeführt.
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3.2. Das Leben unter nationalsozialistischer
Herrschaft am Beispiel der Stadt Saalfeld |
Wie auch in den anderen Städten des Kreises nahmen die
Nationalsozialisten bereits Anfang 1933 alle wichtigen Positionen der
Stadt und des öffentlichen Lebens ein. Die nach dem „Machtantritt“ der
NSDAP eingeführte Gleichschaltung veränderte schnell das soziale Leben der
Stadt, alle Vereine, Zusammenschlüsse und sozialen Einrichtungen wurden
den entsprechenden NSDAP-Einrichtungen angegliedert.
Das
öffentliche Leben wurde vollends durch die Nationalsozialisten geprägt.
Kundgebungen und Aufmärsche der NS-Gruppierungen gehörten zur
Tagesordnung und verwirrten zunehmend die Bevölkerung.
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Abb.2 Großkundgebung auf dem Saalfelder Marktplatz am
1.5.1933 |
Obwohl die meisten Bürger nicht mit der Politik der NSDAP
einverstanden waren, gab es dennoch keinen nennenswerten Widerstand.
Eine hervorzuhebende Ausnahme bildete der Sattlermeister Klein, der
nach wüsten Beschimpfungen durch zwei NSDAP-Parteimitglieder diese aus
seinem Geschäft verwies. Die Folge waren ein Verkaufsverbot seiner
Waren an Parteimitglieder und die öffentliche „Brandmarkung“ seiner „Tat“.
Nationalsozialisten demon-strierten vor dem Sattlerhaus ihre Stärke durch
das Vortragen von Kampfliedern.
Der Einfluss der neuen Machthaber
reichte bis weit in das Privatleben der Bürger hinein. Menschen, die
mit der allgemeinen Parteilinie nicht konform gingen, wurden durch
Hausdurchsuchungen, Bespitzelungen und Verhaftungen tagtäglich
drangsaliert. Ein weiterer Einschnitt in das private Leben war die
Nahelegung der nationalsozialistischen Jugendweihe anstatt der
Konfirmation und nach der standesamtlichen Hochzeit auf die kirchliche
Trauung zu verzichten.
Am härtesten traf es die kleine jüdische
Gemeinde in Saalfeld. 1930 lebten 69 Deutsche jüdischen Glaubens in
Saalfeld. Zum Zeitpunkt der sogenannten „Reichskristallnacht“ lebten nur
noch 16 von ihnen in der Stadt. Wer es sich finanziell nicht leisten
konnte, oder den Nationalsozialisten trotzen und deshalb seine Heimat
nicht verlassen wollte, emigrierte nicht ins europäische Ausland oder nach
Amerika. Die verbliebenen Juden mussten in der Nacht vom 9. auf den
10. November 1938 mit ansehen, wie ihre Synagoge von den
Nationalsozialisten niedergebrannt wurde.
Die Ereignisse in
Saalfeld ähnelten denen im ganzen Reich.
Die herbeieilende
Feuerwehr wurde von Parteimitgliedern am Löschen des Brandes gehindert.
Die Verwüstung jüdischer Geschäfte und Wohnungen folgte. Nicht schon
genug gedemütigt, bezichtigten die Nationalsozialisten den verbliebenen
Rabbiner Plonski, den Brand gelegt zu haben – er wurde zusammen mit seiner
Frau verhaftet.
Nachdem die Nationalsozialisten ihre politischen
und ideologischen Gegner mundtot gemacht hatten, gingen sie daran, sich
das Vertrauen der Bevölkerung zu erschleichen. Durch große
Neubauvorhaben, den Bau von Brunnen und die Elektrifizierung spielten sie
den Menschen ihre positiv Gesinnung vor.
Gerade die Einrichtung
von neuen, modernen Häusern und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen blieb den Einwohnern positiv in Erinnerung –
obwohl sie letztlich doch nur mit Hilfe von Krediten finanziert wurden.
Diese Unternehmungen waren nichts anderes als eine geschickte
Vorbereitung auf eine entbehrungsvolle Zeit – der Krieg mit alle seinen
Auswirkungen auf die Menschen stand unmittelbar bevor.
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3.3. Kriegvorbereitungen |
Ostpreußen war schon immer in der deutschen bzw. preußischen
Geschichte wegen seiner exponierten Stellung bedroht; weil aber der nun
folgende Krieg ein Angriffskrieg werden sollte, wurden seit Mitte der
1930er Jahre die Garnisonen in ganz Ostpreußen verstärkt. Im Kreis
Mohrungen wurden ebenfalls zahlreiche Wehrmachtseinheiten in den Städten
(Mohrungen und Saalfeld) und auf dem Land stationiert. Die
Wehrmachtsführung erwartete bei ihren Vorbereitungen für den Überfall auf
Polen eine ähnliche Entwicklung wie schon 1914, deshalb ging man Mitte der
30er Jahre daran, ganz im Stil der französischem Maginot-Linie,
Befestigungsanlagen in Ostpreußen zu erbauen. Ein Netz von gut
getarnten Maschinengewehr- und Artillerieständen sollte strategisch
wichtige Landstriche vor einer Invasion schützen. Im Nordosten wurde
die Heilsbergerstellung als Schutz für die Großstadt Königsberg erbaut.
Im Süden sollte eine Kette mehrerer Stellungssysteme das Land
absichern. Die Architekten und Strategen bedienten sich hierbei der
vorhandenen Beschaffenheit der Landschaft. Seen wurden genauso wie
Höhenzüge in den Bau der Anlagen mit einbezogen.
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Abb.3 Stellungsbau in Ostpreußen Ende der 1930er
Jahre |
Für den Kreis Mohrungen ist besonders die Christburg-Stellung
interessant, die Teile des Landkreises durchziehen sollte. Das
Stellungssystem sollte im Westen des Kreises auf der Linie Alt-Christburg
– Saalfeld eine Verbindung zwischen dem, südlich Elbing gelegenen,
Drausen-See und dem Ewing-See bei Saalfeld bilden.
Doch bis zum
Beginn des Krieges 1939 wurden nur einige wenige Stellungen gebaut – große
Teile des Stellungssystem waren zu diesem Zeitpunkt erst in der
Planung.
Anscheinend wurde der Ausbau des Flugwarnsystems mit
größerer Akribie betrieben als die Errichtung von Stellungen. Aus dem
Dorf Hagenau, nordwestlich von Mohrungen, wird der Bau einer Flugwache
berichtet. Das Land schien bereits 1938/39 flächendeckend mit diesem
Frühwarnsystem versehen gewesen zu sein. Doch mit dem Ende des
Polenfeldzuges wurden diese kleine Horchposten wieder aufgegeben.
Ebenso wurde 1939/40 die Erweiterung der vorhandenen Stellungs- und
Befestigungsanlagen vernachlässigt.
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4.Der Kreis Mohrungen während des
Krieges
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4.1. Kriegsalltag |
Die Mobilmachung wurde im Kreis Mohrungen mit dem Tag des
Angriffs auf Polen, am 1. September 1939 morgens um 2 Uhr, bekannt
gegeben. Nun war auch in diesem beschaulichen Kreis der Frieden
gestört, ein normales Leben wie zuvor war nicht mehr möglich – die
Gedanken weilten bei den zahlreichen Söhnen, Vätern und Ehemännern, die
mit ihren Einheiten im Krieg waren.
In der Stadt Saalfeld wurden
alle waffenfähigen Männer eingezogen. Dies betraf vor allem solche Männer,
die vorher entweder ihren Dienst bei der Wehrmacht leisteten oder solche,
die speziell für den Grenzschutz ausgebildet wurden. Hierbei wurden
auch einige Verwaltungsbeamte zum Militär berufen, freigewordene Stellen
wurden daher mit dienstverpflichteten Frauen besetzt.
Die
Bevölkerung nahm dies hin und hatte zusätzlich noch weitere
Einschränkungen wie die Lebensmittelrationierung, Einquartierung und die
Geld- und Materialsammlungen für Kriegs- und Wohlfahrtszwecke zu ertragen.
Durch den Frontaufenthalt der meisten arbeitsfähigen Männer
herrschte großer Mangel an Arbeitskräften.
Anfangs wurde der
Bedarf mit polnischen und französischen Kriegsgefangenen gedeckt, doch
durch den immer länger und verlustreicher werdenden Krieg reichten diese
Arbeiter auf Dauer nicht mehr aus. Nach dem Angriff auf die
Sowjetunion wurden viele russische und polnische Zwangsarbeiter sowie aus
vielen anderen besetzten Ländern nach Ostpreußen rekrutiert.
Die
Arbeitsverpflichteten wurden hauptsächlich zur landwirtschaftlichen Arbeit
auf den großen Gütern benötigt.
In den vorliegenden Berichten aus
der Zeit zwischen 1939 und 1945 wird von den Gutsbesitzern durchweg
positiv über die Zwangsarbeiter berichtet. Stellenweise schien das
Verhältnis untereinander fast freundschaftliche Züge angenommen zu haben –
in den meisten Fällen war anscheinend eine gewisse Verbundenheit
vorhanden. In den Tagen der Flucht wurden die Arbeiter, als fester
Bestandteil des Hofes, mit auf die Flucht genommen – der kaum vorhandene
Platz wurde mit ihnen geteilt.
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4.2. Der Krieg in Russland |
Nach den Siegen über Polen, Dänemark und Norwegen, Belgien, den
Niederlanden, Frankreich, Jugoslawien und Griechenland schien fast ganz
Europa von der Wehrmacht besiegt, doch die Mohrunger Bevölkerung merkte
schon bald, dass es hierbei nicht bleiben sollte: Der Kreis Mohrungen lag
im unmittelbaren Aufmarschgebiet der Wehrmacht für den Überfall auf
Russland.
Im Frühjahr 1941 bezogen in vielen Gemeinden des Kreises
zahlreiche Armeeeinheiten ihr Quartier. Auch nach dem raschen
Vordringen der Wehrmacht in die Ukraine und Weißrussland ging das
Kriegsgeschehen nicht an den Menschen vorbei. Zu Beginn des
Russlandfeldzuges hatte das Kreisgebiet unter einigen Luftangriffen der
Roten Armee zu leiden, doch nach vorliegender Quellenlage kam es nur zu
Sachschäden geringeren Ausmaßes. Der Krieg in Russland endete nicht,
wie in den vorausgegangenen Feldzügen, nach einigen Wochen, er zog sich
über Monate hin und schien kein Ende zu nehmen. Die Verlustzahlen der
Wehrmacht stiegen stark an, auch im Kreis Mohrungen wurde der Verlust
vieler Soldaten beklagt.
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4.3. Die Wende des Krieges und seine Auswirkungen
auf den Kreis Mohrungen |
Mit dem Fall der eingeschlossenen 6. Armee am 2. Februar 1943
in Stalingrad schien nun auch symbolisch eine Wende im Kriegsgeschehen
eingetreten zu sein. Auf allen Fronten zog sich die Deutsche Wehrmacht
zurück. Deutschland wurde nun selbst zum Kriegsschauplatz. Der
Bombenkrieg war der erste Vorbote von dem, was die Menschen noch alles zu
erleiden hatten.
Ab Mitte 1941 erreichten die neuen britischen
Bomber vom Typ Lancaster auch die östlichen Teile des Reiches. Vor allem
Berlin hatte unter schweren Bombenangriffen zu leiden. Fortan litt
Deutschland ununterbrochen unter der Bombardierung von Städten,
Verkehrswegen und industriellen Anlagen.
Als 1943 die
Bombenangriffe stark zunahmen, erreichten die ersten
Evakuierungstransporte aus Berlin auch den Kreis Mohrungen. Hier waren die
Menschen noch sicher vor den Angriffen, die nun tagsüber von der US Army
Air Force und nachts von der Royal Air Force geflogen wurden.
Nach
dem Vordringen der Roten Armee 1944 in den baltischen Raum wurden nun auch
zahlreiche Kreise im Nordosten Ostpreußens evakuiert. Die Menschen
zogen im Herbst 1944 in langen Trecks in den Westen Ostpreußens, da man
sich hier in Sicherheit vor der Roten Armee glaubte. Zu diesem
Zeitpunkt waren die Flüchtlingstrecks noch mit zahlreichem Hausrat und
Vieh ausgestattet. Dies zeugte von einer einigermaßen geordneten
Flucht. Die Menschen hatten Zeit ihre wichtigsten Habseligkeiten auf
ihre Leiterwagen zu laden.
1944 wurde auch noch die Unterbringung
der Flüchtlinge straff durch Parteifunktionäre durchorganisiert. Die
Unterbringung wurde meist lokal von den Bauern- oder Parteiführern
durchgeführt. Die großen Güter stellten den Flüchtlingen Teile ihrer
Gesindehäuser zur Verfügung.
Es liegen keine offiziellen Zahlen
über Flüchtlinge aus dem Nordosten Ostpreußens im Kreis Mohrungen für den
Zeitraum 1944-1945 vor, man muss aber von einigen Tausend Menschen
ausgehen, die im Kreis untergebracht wurden.
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5. Die militärische Lage an der Ostfront
1944-45 |
Die Deutsche Wehrmacht musste sich seit dem Untergang der 6.
Armee in Stalingrad ständig zurückziehen. Einige verzweifelte Versuche mit
Offensiven die Initiative wieder zu erlangen scheiterten schon bald. Die
großen Verluste, die sich die deutschen und sowjetischen Armeen bei der
Schlacht im Kursker Bogen im Juli 1943 gegenseitig zufügten, konnten auf
deutscher Seite nur schwer ausgeglichen werden.
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Abb. 4 Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte
1944 |
Hinzu kam noch die Invasion der alliierten Truppen auf Sizilien
und in Süditalien, wegen der viele Verbände von der Ostfront verlegt
werden mussten. In den folgenden Monaten zog sich die Wehrmacht in der
Ukraine mehr oder weniger geordnet zurück.
Unversehens rückte das
Kriegsgeschehen weiter westlich. Im Frühjahr 1944 waren die deutschen
Armeen schon bis an die ehemalige polnische Grenze zurückgekämpft worden,
nur im Südabschnitt der Ostfront standen die Verbände noch in der
Ukraine.
Am 22. Juni 1944, drei Jahre nach dem deutschen Überfall
auf die Sowjetunion, formierten sich acht sowjetische Fronten56 vom
Baltikum bis nach Südpolen zu einer großen Offensive gegen die deutsche
Heeresgruppe Mitte (HGM) in Polen.
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5.1. Das Eindringen der Roten Armee in Ostpreußen
1944
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Durch die schnellen Vorstöße der sowjetischen Verbände wurde
die deutsche Heeresgruppe Mitte schon bald stark zurückgedrängt. Bereits
nach einigen Tagen zeichnete sich eine doppelte Umfassung der gesamten
deutschen Einheiten ab. Trotz aller Versuche des Generalstabes, eine
Frontbegradigung durchzuführen, lehnte Hitler den Vorschlag des
Befehlshabers der HGM Generalfeldmarschall Ernst Busch, die Heersgruppe
kämpfend zurückziehen zu lassen, kategorisch ab. Als Reaktion auf
seinen Vorschlag wurde Busch durch Generalfeldmarschall Walter Model,
einen treuen Gefolgsmann Hitlers und überzeugten Nationalsozialisten,
ersetzt.
Anfang Juli schlugen auch die Versuche, die schwer
bedrängte HGM durch die im Baltikum stehende Heeresgruppe Nord zu
ersetzen, fehl.
Die deutschen Versorgungskolonnen erreichten in
ihrer Rückzugsbewegung schon bald das Reichsgebiet. Anfang Juli 1944
durchzogen lange Konvois deutscher Truppen ostpreußische Grenzgebiete.
Neben abgekämpften Wehrmachtseinheiten zogen sich auch zahlreiche
NSDAP-Funktionäre aus den ehemalig besetzten sowjetischen Gebieten zurück.
Sie waren dort für die Durchsetzung der „rassischen“ Politik Hitlers und
der Ansiedlung deutscher Bevölkerung zuständig.
Der Gefechtslärm
näherte sich im Laufe des Monats Juli immer bedrohlicher den östlichsten
Gemeinden Ostpreußens. Zunehmend machte sich in der Bevölkerung Panik
breit. Nachdem die Wehrmacht im August 1944 ihre Positionen an der
Ostgrenze Ostpreußens festigen konnte, erlahmte der schnelle russische
Vormarsch. Die Armeeführung unternahm zusammen mit der Gauleitung
Ostpreußen unter Erich Koch Vorkehrungen, die ein weiteres Voranrücken der
Roten Armee verhindern sollte.
Doch begingen die Deutschen die
selben strategischen Fehler wie schon ihre Kriegsgegner 1939/40.
Anstelle von beweglichen Verteidigungs-maßnahmen und verstärkten
Truppenteilen setzte die Gau- und Militärführung auf ein statisches
Bunker- und Verteidigungs-anlagensystem. Hierzu bediente man sich der
Ostpreußenstellung, die in den dreißiger Jahren begonnen wurde und einiger
neuer, militärisch absolut ungeeigneter Volkssturmstellungen.
Erst
im Oktober 1944 sollte die Lage für Ostpreußen wieder bedrohlicher werden.
Nachdem im September 1944 die 1., 2. und 3. baltische Front ihre
Angriffe auf die Heeres Gruppe Nord im Baltikum verstärkte, war die
bereits im Sommer zurückgedrängte HGM zusätzlich von Norden bedrängt. Die
Einschließung beider Heeresgruppen in Ostpreußen war damit
vorprogrammiert. Doch die Gegenmaßnahmen der Wehrmacht waren bereits zu
schwach, um das Unvermeidliche abwenden zu können. Nach der
Einkesselung Memels war die ostpreußische Grenze mit der Stadt Tilsit
Mitte bis Ende Oktober 1944 unmittelbar bedroht. Am 16. Oktober begann
die Offensive der 3. Weißrussischen Front gegen die deutschen Stellungen
südlich von Memel.
Die Rote Armee erreichte nach wenigen Tagen die
Reichsgrenze und nahm am 22. Oktober die ostpreußischen Städte Eydtkuhnen,
Stallupönen und Goldap ein. Bei Nemmersdorf kam es zu Gräueltaten der
sowjetischen 11. Garde Armee unter Generaloberst Galiski gegenüber der
deutschen Bevölkerung. Diese brutalen und systematischen Übergriffe
mit zahlreichen Toten wurden von der nationalsozialistischen Propaganda
auf besonders perfide Art und Weise ausgenutzt. Bewusst schürten die
Parteistrategen Angst vor den russischen Invasoren um die
Kampfbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen. Mit UFA-Streifen wie
„Kolberg“ (D 1944/1945) sollte die patriotische Gesinnung der Bevölkerung
geweckt werden.
Junge und Alte sollten ihre Heimat bis zum Letzten
verteidigen, wie es die eigenen Vorfahren schon 140 Jahre zuvor vorgelebt
hatten. Doch diese „Durchhalteparolen“ stießen in den meisten Fällen ins
Lehre – das Gegenteil trat ein. Geschockt von den Gräueltaten der
Roten Armee suchte die Bevölkerung ihr Glück lieber in der Flucht als im
Kampf gegen eine absolut überlegene Armee.
Das Resultat dieser
wenn überhaupt, dann schlecht organisierten Flucht ist hinlänglich
bekannt.
Und auch hier zeigte sich wieder, dass die staatlichen
Behörden auf einen solchen Fall nicht vorbereitet waren.
Die
Zivilbevölkerung aus dem äußersten Osten Ostpreußens flüchtete in
ungeordneten Trecks westlich, um vor den heranrückenden sowjetischen
Armeen zu fliehen. Die Trecks vermischten sich schnell mit abziehenden
oder heranrückenden Wehrmachtseinheiten, das Chaos war vorprogrammiert –
eine Situation, die sich noch wiederholen sollte.
Nach
verlustreichen Kämpfen konnte aber auch hier vorerst das Vorrücken der
Roten Armee aufgehalten werden. Die absolute Überlastung der
abgekämpften Ostfrontverbände der Wehrmacht wurde nach den ersten
Schlachten um Ostpreußen deutlich. Das Reichsgebiet war nach Ansicht
der Strategen mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr zu verteidigen.
Hitler ließ daher am 18. Oktober 1944 die Bildung eines
Volkssturms ausrufen– ein verzweifelter Versuch, das Unvermeidliche noch
hinauszuzögern. Dieser Aufruf sollte tausender junger, aber auch alter
Männer das Leben kosten.
Der militärische Nutzen dieser Aktion war
sicherlich von geringem Wert.
Die erwartete positive
psychologische Wirkung auf den Durchhaltewillen der Bevölkerung zeigte
sich beim Eintreffen der feindlichen Armeen. Die Volkssturmeinheiten waren
vielerorts gar nicht erst in ihren Stellungen erschienen.
Dort wo
Volkssturmeinheiten, meistens noch strategisch unsinnig erschienen waren,
kämpften die, meist aus der Hitlerjugend rekrutierten, Kämpfer zwar
tapfer, konnten aber nirgends strategische Erfolge erzielen oder gar die
Rote Armee aufhalten.
Nach den Kämpfen im Oktober beruhigte sich
die Lage an der Ostfront.
Die sowjetischen Armeen standen entlang
der Memel über Schlossberg, Goldap und Filipow auf einer Länge von 150 km
in ca. 40 km Tiefe auf ostpreußischen Boden.
In den nächsten 4-5
Wochen kehrte in Ostpreußen die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm ein.
Die angeschlagenen deutschen Armeen befestigten ihre Stellungen auf
einer 600 km langen Front und konnten den nächsten Schritt ihres Gegners
nur abwarten – für eine Gegenoffensive war die deutsche Armee bereits zu
schwach.
Zu diesem Zeitpunkt wäre die beste und sicherste
Möglichkeit gewesen, die ostpreußische Bevölkerung auf eine Evakuierung
vorzubereiten, doch wurde diese aus politischen und ideologischen Gründen
absichtlich versäumt.
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5.2. Die Offensive – 13.01.1945 – Die
Situation im Kreis Mohrungen |
Der Winter 1944/45 war einer der kältesten seit langem.
Schneefall und eisige Temperaturen ließen alle Aktivitäten auf ein
Minimum absinken.
Doch die sowjetischen Truppen warteten nur auf
eine Wetterbesserung, um mit ihrer großen Winteroffensive gegen Ostpreußen
und Schlesien beginnen zu können. Am 12. und 13. Januar 1945 waren die
Temperaturen zwar immer noch sehr niedrig (um die 20° C minus)67, die
Großwetterlage war aber sehr günstig für einen kombinierten Luft-
Landangriff. Bereits am 12. Januar ging die 1. Ukrainische Front am
Südabschnitt des sowjetischen Aufmarschgebietes in die Offensive, ihr Ziel
war Pommern, das über Westpolen erreicht werden sollte.
Einen Tag
später, am 13. Januar 1945, ging die 3. Weißrussische Front aus ihren
Stellungen entlang der Memel und der ostpreußischen Ostgrenze in den
Angriff über.
Das Ziel dieser sowjetischen Front war das schnelle
Erreichen der Ostsee und die Einkesslung der in Ostpreußen stationierten
deutschen Truppen.
Am 14. Januar wurden die für das Gelingen der
Offensive notwendigen Schritte eingeleitet. Die 1. und 2.
Weißrussische Front gingen aus ihren Stellungen entlang der Flüsse Narew
und Weichsel gegen die deutschen Truppen vor. Ihre Aufgaben waren die
südliche Umschließung Ostpreußens und die damit verbundene Abschneidung
der deutschen Truppen vom Rest des Reiches. Mit der 1. Weißrussischen
Front wurde ein Keil in Richtung Danziger Bucht zwischen Ostpreußen und
Pommern getrieben.
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Abb. 5 Winteroffensive Januar 1945 |
Die 2. und 3. Weißrussische Front hatten die Aufgabe, die
Wehrmachtseinheiten in Ostpreußen zu vernichten. Die 3. Weißrussische
Front hatte als operatives Ziel die Stadt Königsberg und die für uns
relevante 2. Weißrussische Front die Industriestadt Elbing unweit des
Frischen Haffs.
Das Aufgebot der Roten Armee an Menschen und
Material war gigantisch. Das Verhältnis zwischen der Roten Armee und
der Wehrmacht war mehr als ungleich, es verhielt sich in den einzelnen
Kategorien wie folgt: Infanterie 7,7:1, Artillerie 6,9:1, Granatwerfer
10,2:1, Panzer 4,7:1. Die deutsche Luftwaffe zu Beginn des Krieges war
1945 auch nur ein Schatten ihrer selbst. Die Sowjets beherrschten nun
vollends den Luftraum, ihre Überlegenheit war erdrückend. Diese
geballte Übermacht erzielte auch schon bald entsprechende
Erfolge.
Die deutsche Heeresgruppe Mitte, die bereits im Vorjahr
erhebliche Verluste einstecken musste, hatte sich in den ersten Tagen der
sowjetischen Winteroffensive schwere Gefechte mit der 3. Weißrussischen
Front geliefert und konnte sich nur unter größten Verlusten mühsam halten.
Der nachgezogene Angriff der 2. Weißrussischen Front überraschte die
Führung der HGM in einem mehr als ungünstigen Moment.
Die Folge
war bereits am 18. Januar, nur vier Tage nach ihrem Angriff, der operative
Durchbruch der 2. Weißrussischen Front. Die Heeresgruppe Mitte wurde durch
das Vorgehen der sowjetischen Armeen zweigeteilt. Der Weg in Richtung
Elbing war damit für die sowjetischen Truppen frei.
Dieses schnelle
Vorgehen der sowjetischen Truppen und die unzureichende Gegenwehr der
Wehrmacht zog eine Katastrophe ganz anderen Ausmaßes nach sich – die
Flucht der ostpreußischen Bevölkerung.
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6. Die Flucht in Ostpreußen |
Mit dem Vorrücken der Roten Armee auf ostpreußischem Boden
wuchs die Angst der Bevölkerung vor den Gewalttaten seitens der Roten
Armee. Trotz offizieller Fluchtverbote machten sich viele Menschen auf
den Weg zu einem vermeintlich sicheren Ort. Bei der ersten großen
sowjetischen Offensive im Baltikum im August 1944 wurde am 4. August die
erste Evakuierungsanordnung erlassen. Die von der Roten Armee
bedrohten Memeldeutschen flohen dementsprechend in die westlichen
Landesteile Ostpreußens. Doch bereits wenige Tage später wurde der Erlass
wieder rückgängig gemacht und viele Memeldeutsche kehrten in ihre Heimat
zurück.
Diese Menschen waren somit die ersten Opfer der verfehlten
staatlichen Flüchtlingspolitik, denn sie fielen bei der nächsten Offensive
im Oktober 1944 zum großen Teil in sowjetische Hände. Verspätete oder
erst gar nicht durchgeführte Evakuierungen, die das Schicksal
Hundertausender besiegelte, sollte fortan die offizielle Politik
bestimmen, denn Flucht vor dem Feind wurde als „Defätismus“
abgetan.
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6.1. Flüchtlingsströme |
Nach den ersten Angriffen auf Ostpreußen im Sommer bzw. im
Herbst 1944 war die Fluchtrichtung der Zivilbevölkerung klar zu leiten, da
die Angriffe der Roten Armee von Nordosten über die Memel oder von Osten
über Gumbinnen auf ostpreußisches Gebiet kamen. Die Flüchtlingstrecks
zogen somit immer in Richtung Westen, da Ostpreußen zu diesem Zeitpunkt
noch nicht von Süden und Westen her bedroht war. Die Flüchtlinge wurden
innerhalb Ostpreußens auf die einzelnen Landkreise verteilt. Hierbei
gab es ein Muster, wonach jeder durch sowjetische Truppen bedrohte
Landkreis einen oder mehrere „Gegenstücke“ im sicheren Gebiet Ostpreußens
hatte. Der für diese Arbeit interessante Kreis Mohrungen nahm
Flüchtlinge aus den Kreisen Insterburg und Angerapp auf
|
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Abb. 6 Geplante Evakuierung der Zivilbevölkerung, Ende
1944 |
Die Linie der sicheren Kreise lag nach der Vorstellung der
Strategen zwischen den Kreisen Labiau und Sensburg, die östlich dieser
Linie liegenden Kreise sollten im „Bedarfsfalle“ evakuiert werden. Pläne
die einen weitergehenden Vorstoß der Roten Armee ins Landesinnere
berücksichtigten, gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Die
Situation während der großen Winteroffensive im Januar 1945 sollte
wesentlich komplizierter und unkoordinierter sein als die Planspiele der
Verantwortlichen.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch rund
1.754.000 Menschen im feindfreien Ostpreußen.73 Die wenigsten von ihnen
hatten das Glück, rechtzeitig fliehen zu können.74
Die Darstellung
der Flüchtlingsströme ab dem 13. Januar 1945 ist überaus komplex – auf
eine detaillierte gesamtostpreußische Flücht-lingssituation kann hier
nicht eingegangen werden; daher wird für den Raum Ostpreußen nur eine
grobe Fluchtbewegung dargestellt.75
Die Entwicklung und Richtung
der Flüchtlingsströme sind in allen Fällen durch das Vordringen der Roten
Armee bedingt. Ab dem 13. Januar mit dem Beginn der sowjetischen Offensive
gegen Ostpreußen kann man auch die ersten großen Flüchtlingstrecks der
ostpreußischen Zivilbevölkerung verfolgen.
Generell ist hier zu
erwähnen, dass die wenigsten Trecks oder Evakuierungen mehr als ein bis
zwei Tage vor dem Eintreffen der Roten Armee in den entsprechenden Orten
eingeleitet wurden. Diese Form der Evakuierung von „Vorne nach Hinten“
hatte dann entsprechende Nachwirkungen. Die Rote Armee stieß fast immer
schneller vor, als die Zivilisten vor ihrem Vordringen fliehen konnten.
Die vorrückende Front schob somit eine Flüchtlingswelle vor sich her, die
durch ständig hinzukommende Flüchtlinge rasch anwuchs.
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Abb.7 Flüchtlingsströme in Ostpreußen, Januar 1945 |
Die Folge war, dass sich die Menschen bei der Flucht
gegenseitig behinderten, es kam an wichtigen Verkehrsknotenpunkten zu
gewaltigen Stauungen, die eine Weiterkommen fast unmöglich
machten. Vielerorts wurden diese Stauungen dann am folgenden Tag von
der Roten Armee überrollt.
Hilfreich wäre hier ein koordinierter
Fluchtplan gewesen, so dass sich die Flüchtlingstrecks nicht gegenseitig
behindert hätten. Im Kreis Mohrungen gab es im Gegensatz zu den
meisten anderen Kreisen einen Evakuierungsplan. Leider war dieser nur
unzureichend ausgearbeitet. Am 22. Januar 1945 um 14 Uhr gab die
Gauleitung den Evakuierungsplan bekannt, durch den der Kreis in
Nord-Süd-Richtung entlang des Oberländer Kanals zweigeteilt wurde. Die
Bevölkerung des westlichen Teils des Kreises sollte demnach über Elbing in
Richtung Weichsel, die des östlichen Teils über das Heilsberger Dreieck
fliehen. Doch auch bei diesen Überlegungen wurden Eventualitäten wie
die Verstopfung der Straßen, Wetterlage, Rückzugsbewegungen der Wehrmacht
und das Vorrücken der Roten Armee nicht berücksichtigt. Die Folge war
demnach auch im Kreis Mohrungen ein totales Chaos.
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Abb. 8 Evakuierungsplan Kreis Mohrungen |
Das Ziel aller Flüchtlingstrecks war entweder das östliche
Oderufer oder die Flucht über die Ostsee in sichere Häfen in Pommern,
Mecklenburg oder gar Dänemark. Hier glaubte man, dass die Zivilbevölkerung
sicher vor den sowjetischen Truppen war, doch bis dahin konnte den
Menschen noch viel passieren.
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6.2. Treckarten |
Da die Flucht vor den sowjetischen Truppen nicht
organisatorisch vorbereitet war, nutzten die Menschen jegliche erdenkliche
Art von Fortbewegungsmittel. Sie schlossen sich zu kleinen oder großen
Flüchtlingstrecks zusammen.
Hier sollen nur kurz die am häufigsten
vorkommenden Treckarten aufgeführt werden.
Hauptsächlich flohen die
Menschen in kleineren Zusammenschlüssen ihrer Dorfgemeinschaft oder
Gehöfte. Im Falle der Gehöfte stellten die Knechte, je nach Größe des
Anwesens, zwischen einer und zehn Kutschen bereit. Die fast ausschließlich
bespannten Fahrzeuge wurden mit einigen Besitztümern und Lebensmitteln
beladen. Auf den Wagen konnten dann alle Familien- und Hofangehörige
Platz nehmen. Diese kleinen Trecks schlossen sich dann mit denen der
näherliegenden Dörfer zusammen.
Dort standen den Menschen nicht so
viele Kutschen wie auf den Bauernhöfen zur Verfügung. Die Dorfbewohner
nutzten hier in Ermanglung von Zugtieren einfache Holzschlitten oder
Bollerwagen, die mit dem Allernötigsten beladen wurden. Die
Flüchtlinge liefen dann den Großteil des Weges zu Fuß neben den Schlitten
her, nur Alte oder Kleinkinder konnten auf den Gefährten Platz
nehmen.
Den meisten Flüchtlingen dürfte allerdings nicht einmal
diese einfache Art des Transports zur Verfügung gestanden haben – sie
mussten im schlimmsten Fall mehrere hundert Kilometer zu Fuß
zurücklegen.
Die Flüchtlingsströme vereinten sich an den großen
Verkehrs-knotenpunkten – wie bei Pr. Holland – zu gigantischen, nicht
endenden Menschenströmen. Durch Schäden von Kutschen, durch das Sterben
der Zugtiere oder der schieren Überlastung der kleinen Alleen kamen die
Menschen kaum mehr voran. Die Rote Armee mit ihren schnellen
motorisierten Verbänden holte sie bereits nach einigen Tagen
ein.
Die Menschen in den Städten hatten andere Schwierigkeiten als
die Landbevölkerung. Ihnen standen keine Zugwagen oder ähnliche
Fortbewegungsmittel zur Verfügung. Ihre Hoffnungen lagen auf den
Evakuierungszügen der Reichsbahn.
Doch auch hier zeigte sich die
Unfähigkeit der politischen Führung, eine sichere und systematische Flucht
zu gewährleisten. Obwohl das Schienennetz noch zum größtem Teil intakt
war, konnte es nur unzureichend genutzt werden.
Eine zu geringe
Anzahl von Zügen wurde für die Menschen bereitgestellt.
Auf den
Bahnhöfen, wie zum Beispiel in der Kreisstadt Mohrungen, spielten sich bei
der Bereitstellung eines Zuges für mehrere tausend Menschen schreckliche
Tragödien ab. Der Platz reichte meist nur für einen Bruchteil der
wartenden Menschen, die dann ohne Hoffnung auf einen weiteren Zug am
Bahnhof zurückbleiben mussten
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Abb. 9 Evakuierung von Flüchtlingen mit offenen
Viehwaggons |
Eine letzte Möglichkeit war die Flucht mit den zurückziehenden
Wehrmachtseinheiten. Gelegentlich teilten die Soldaten den schon für sie
zu geringen Platz auf ihren LKW mit den Flüchtlingen. Diese Art der
Flucht war aber gefährlich. Die Menschen waren hier besonders in Gefahr,
da es sich schließlich um militärische Transporte handelte, von Einheiten
der sowjetischen Armee angegriffen zu werden. Ebenfalls konnten die
Einheiten nicht einfach nach Westen fliehen, wie es die zivilen
Flüchtlinge versuchten – oftmals mussten die militärischen Konvois wieder
Richtung Front ziehen und setzten damit die mit ihnen flüchtenden
Zivilisten einer zusätzlichen Gefahr aus. zurück
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6.3. Die Flucht über den
Seeweg |
Neben der Landflucht war die Flucht über die Ostsee ein
wesentlicher Bestandteil des Flüchtlingsdramas von 1945.
Nach den
russischen Vorstößen im Januar 1945 wurden Ostpreußen und bald auch
Pommern vom restlichen Reich abgeschnitten. Die sich nach Westen
bewegenden ostpreußischen Flüchtlingstrecks wurden bei ihrem Durchzug
durch Hinterpommern von der Roten Armee überrollt oder erneut
eingekesselt. Ähnlich erging es den Ostpreußen, die ihr Glück in der
Flucht nach Königsberg bzw. Pillau am Frischen Haff suchten. Sie wurden
ebenfalls von der Roten Armee im Raum Königsberg eingeschlossen. Auch
hier war die Flucht über Land unmöglich geworden.
Ab Mitte Februar
1945 war der Landweg nach Westen endgültig durch die Sowjets blockiert.
Die Wehrmachtsführung erkannte diese bedrohliche Situation und
beauftragte den Konteradmiral Konrad Engelhardt, einen Eva-kuierungsplan
über See zu erarbeiten. Großadmiral Karl Dönitz befahl dem Admiral,
jedes verfügbare Schiff verfügbar zu machen. Es gelang Engelhardt, 790
Schiffe unterschiedlicher Größe für die Evakuierung der Flüchtlinge und
Soldaten einzusetzen.
Das größte Problem bei der Evakuierung
stellte die knappe Treibstofflage dar. Aus diesem Grunde wurden
Kohledampfer aus Norwegen abgezogen, um die Evakuierungsschiffe mit dem
nötigen Treibstoff zu versorgen. Am 23. Januar 1945 begannen die
Evakuierungen über See in Ostpreußen.
Bei den ersten Schiffen, die
Ostpreußen verließen, war auch die „Ostpreußen“, die am 28. Januar den
Gauleiter und Reichs-verteidigungskommissar Erich Koch mit einen Teil
seines Stabes aus Königsberg evakuierte.
Koch zog es vor, „seinen“
Gau so schnell wie möglich zu verlassen, anstatt die Evakuierung der
hunderttausend verbliebenen Einwohner zu koordinieren.
Viele
Menschen, die aus dem nordöstlichen Teil Ostpreußens in Richtung
Königsberg geflohen waren, suchten – ebenso wie die von der Roten Armee im
Westen Ostpreußens auf das Frische Haff abgedrängten Flüchtlinge – ihr
Glück in Königsberg. Einige Zeit noch wurden Reichsbahnzüge zum
Transport der Flüchtlinge in Richtung Pillau bereitgestellt. Von dort aus
sollten die Menschen eingeschifft werden.
Bereits am 30. Januar
1945 war Königsberg vollkommen von den sowjetischen Truppen
eingeschlossen. Die unzähligen Flüchtlings-ströme konnten nicht mehr über
den Landweg nach Pillau gelangen, die Menschen wählten nun den
gefährlichen Weg über das zugefrorene Frische Haff. Tausende Menschen
brachen mit ihren für das dünne Eis zu schweren Wagen ein und ertranken in
der eiskalten Ostsee. Ab Ende Februar begann das Eis des Haffs derart
schnell zu schmelzen, dass der Flucht über das Eis ein Ende gesetzt
wurde.
Bis Ende Februar 1945 konnten nach vorsichtigen Schätzungen
450.000 Menschen über das zugefrorene Haff fliehen.
Ab Ende Februar
hatten die Menschen dann keine Möglichkeit mehr, den rettenden Seehafen
Pillau oder die eingeschlossene Stadt Königsberg zu erreichen, da die Rote
Armee die Zufahrtswege zum Haff blockierte.
Ziel der Wehrmacht war
es nun, Königsberg so lange wie möglich vor der Einnahme durch die
überlegenen sowjetischen Belagerer zu verteidigen, um soviele Flüchtlinge,
Soldaten und Zwangsarbeiter wie möglich zu evakuieren.
Die
Kriegsmarine konnte so bis zum Fall der Stadt am 9. April 1945 noch
unzählige Menschen über Pillau auf dem Seeweg retten. Vielen Ostpreußen
gelang ab Mitte Februar bis in den April hinein die Flucht über pommersche
Hafenstädte wie Kolberg.
Diesen Ostpreußen und vielen Pommern
wurde der Weg in Richtung Oder durch das schnelle Vordringen der Roten
Armee versperrt. Auf diese Weise vereint sich die Flucht über Land
inhaltlich mit der Evakuierung über die Ostsee.
Von Hela aus fuhren
noch bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 Schiffe vollbeladen mit 70.000
Flüchtlingen und Soldaten in Richtung Dänemark, um diesen das schwere
Schicksal einer sowjetischen Gefangenschaft zu ersparen.
Nach einer
solchen Evakuierung waren die Flüchtlinge noch nicht in Sicherheit. Die
sowjetische Marine und Luftwaffe versuchten systematisch eine Evakuierung
über See zu verhindern. Trotz Begleitschutz in Form von Zerstörern und
Schnellbooten wurden einige Schiffe versenkt. Zu erwähnen sind hier
besonders die „Goya“ – versenkt am 16. April 1945, hierbei starben 6.500
Menschen – und die „Wilhelm Gustloff“ – versenkt am 30. Januar 1945,
hierbei ließen 5.100 Menschen ihr Leben.
Insgesamt sind nach
vorsichtigen Schätzungen ca. 20.000 Flüchtlinge bei der Evakuierung über
See ums Leben gekommen. Diese scheinbar hohe Zahl steht 2 Millionen
Geretteten gegenüber, damit starben ca. ein Prozent der Flüchtlinge bei
dieser Art der Evakuierung. Die Quote der bei der Flucht über Land ums
Leben gekommenen Menschen liegt hingegen bei 15,5 %. Damit ist die
Seerettung der Flüchtlinge durchaus als erfolgreiche Unternehmung
anzusehen, die vielen Menschen das Leben rettete.
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7.
Die Flucht aus den einzelnen Kirchspielen und
Städten
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